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Meilensteine
der Gesundheitspolitik in Deutschland
Neue und andere "Meilensteine" - Warum es sich weiter lohnt, die "Meilensteine" zu studieren
Gerade in der deutschen Gesundheitsgesetzgebung sind Gesetze selten so verabschiedet worden, wie sie in der ersten "Blaupause" oder im ersten Referentenentwurf aussahen. Sie sind vielmehr Ergebnisse mehr oder weniger langer Aushandlungsprozesse zwischen einer Vielzahl von betroffenen Akteuren und Institutionen. Dies liegt an einer Vielzahl von Besonderheiten des deutschen Gesundheits- aber auch Politiksystems: seinen durchweg korporatistischen Grundzügen, seinem Charakter als eines der größten Wirtschaftszweige und dem durch das Verhältniswahlrecht geförderten Typus der Koalitionsregierungen. Dieses häufig für weite Teile der Bevölkerung aber auch der ExpertInnen nicht komplett über- und durchschaubare Geschehen führt u.a. dazu, dass Gesundheitspolitik oft als "Wirrwarr" und undurchschaubares Werk von "denen da oben" wahrgenommen wird. Die Folge ist eine verbreitete Unkenntnis wesentlicher Inhalte der Gesundheitsreformen, eine geringe Nutzung wichtiger Leistungen, schwindende Akzeptanz und zunehmende Ängste was die Zukunft der gesundheitlichen Versorgung betrifft.
Um hier etwas Abhilfe zu schaffen und dies ohne umfangreiche Recherchen in Archiven oder im Internet, unternehmen wir mit der überarbeiteten Version der "Meilensteine" den Versuch, etwas Licht in die mehr oder weniger unbekannten Phasen der Gesetzaushandlungs- und Verabschiedungsprozesse der wichtigsten Gesundheits-Reformgesetze seit 1977 zu bringen. Dies umfasst auch die argumentativen Schritte zum Gesetz aber auch dokumentierte Argumente, die nicht im Gesetz nicht zur Geltung gekommen sind.
Trotz dieser Dokumentationen fehlen mit Sicherheit wichtige schriftliche Dokumente, die allein in der Lage wären, die Anlässe, Verursacher oder Gründe für einige Gesetzgebungs-Salti erkennbar werden zu lassen. Natürlich fehlen auch mündliche Interventionen und "klimatische" Bedingungen wie etwa die Dokumentation von Medienkampagnen für oder gegen ein Gesetz oder wesentliche Elemente der "ideologischen Hegemonie" (Gramsci) als einem gewichtigen gesellschaftlichen Element der Durchsetzung von Interessen.
Wenn also schon bisher und auch in der jetzigen inhaltlich erweiterten Form der "Meilensteine" Ereignisse wie Gesetze, Verordnungen oder vergleichbare staatliche Eingriffe, Regulationen und Rahmensetzungen überwiegen, soll damit nicht der Eindruck erweckt werden, Gesetze oder Recht allein erklärten die Art und Performance der Systementwicklung. Schon die Beantwortung der Frage, warum es zu bestimmten Zeitpunkten und zu bestimmten Themen zu den dann verabschiedeten Gesetzen kommt, ist ohne gründliche Blicke auf die gesellschaftlichen, kulturellen, ökonomischen oder ideologischen Bedingungen, Positionen, Hauptakteure oder Deutungsmuster nicht möglich. Künftigen Erweiterungen der "Meilensteine" bleibt es vorbehalten, stärker auf Bedingungen dieser Art und ihre Wirkung hinzuweisen.
Die Erweiterung der inhaltlichen Dimensionen der "Meilensteine" um das argumentative Umfeld wichtiger Gesundheitsreformen der letzten Jahre verbinden wir mit einer Aktualisierung der Meilensteine, der Schließung vieler Ereignis-Lücken in der Vergangenheit des deutschen Gesundheitssystems, der medizinischen Versorgung und des kulturellen Umfelds dieser Bereiche - ohne zu glauben, jemals fertig zu werden! Ein Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe der "Meilensteine" liegt schließlich bei einer Vermehrung der gesundheitspolitischen Entwicklungen in ausgewählten europäischen und nordamerikanischen Ländern.
Warum eine Rubrik "Meilensteine der Gesundheitspolitik"?
Wer sich als Student/in der Gesundheitswissenschaften, als Mitarbeiter einer Krankenkasse oder als ganz normaler Bürger einen Überblick verschaffen will, was denn Bismarcks GKV war, ob es
Kassenärztliche Vereinigungen schon immer gab, wann und wie die heute enorm angewachsene Privatisierung von zuvor aus Kassenbeiträgen bezahlten Leistungen begonnen hat oder was denn eigentlich in der scheinbar permanenten Gesundheitsreform seit 1977 alles schon passiert ist, kann dies in Deutschland in einigen hervorragenden Publikationen tun. Aus eigener guter Erfahrung möchten wir nur wenige Werke hervorheben, die uns wertvolle Quellen waren und sind und an der Wiege der "Meilensteine" standen.
Johannes Frerich und Martin Frey (Frerich, Frey 1996) haben in den 1990er Jahren ein dreibändiges "Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland" von der vorindustriellen Zeit bis in die Mitte der 1990er Jahre vorgelegt, das auf seinen weit über 1.000 Seiten auch eine Fülle von Informationen zur Entwicklung der Gesundheitspolitik und der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) enthält. Gleiches gilt für die auf 11 Bände und weit über 10.000 Druckseiten geplante "Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, die seit 2001 in der Herausgeberschaft des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung und des Bundesarchiv erscheint (BMAS, Bundesarchiv seit 2001) und von einer umfangreiche Gruppe von Sozialpolitik-Wissenschaftler verfasst wurde und werden wird. Auf wesentlich weniger Seiten, aber gleichwohl äußerst informativ fasst Johannes Steffen (Steffen 2006) von der Arbeitnehmerkammer Bremen die wichtigsten gesetzlichen Regelungen seit den 1970er Jahren zusammen und macht die daraus erstellte Broschüre auch im Internet zugänglich. Für nahezu jedes Gesundheitsreformgesetz der Jahre seit 1977 gibt es mindestens eine Monographie und auch an Aufsätzen oder "Jahrbüchern" zu wichtigen einzelnen gesundheitspolitischen Themen (z. B. zum Risikostrukturausgleich) fehlt es nicht.
Bei allen Vorzügen hat diese potenzielle Informationsflut aber auch Nachteile: Sie konzentriert sich teilweise auf die Zeit nach 1945 oder 1977. Sie erfordert häufig die Lektüre von Hunderten und noch mehr Seiten und manche der spannendsten Quellen und Studien kosten hohe zweistellige oder gar dreistellige Eurosummen, die in Zeiten öffentlicher Armut sogar Bibliotheken vom Kauf abhalten.
Um diese Dilemmata zu umgehen, bot sich schon früh das Internet an. Selbst wenn die Verlage aber auf ihre Einnahmen verzichtet hätten und ihre umfangreichen und teuren Quellen kostenlos als PDF-Dateien ins Internet hätten stellen lassen, wären viele der genannten Informationshindernisse damit nicht
bewältigt worden. An diesem Punkt stießen wir auf einen Versuch, die Geschichte des in den USA allerdings erst seit 1965 richtig existierenden staatlich-öffentlichen Gesundheitsversicherungswesen den unterschiedlichen Interessenten transparenter zu machen. Die private und liberale "Kaiser Family Foundation (KFF)" bietet seit geraumer Zeit auf ihrer auch sonst materialreichen und hochfrequentierten Gesundheitspolitik-Website eine so genannte "Time Line" zur Entwicklung und den Leistungen von Medicare und Medicaid an (KFF 2007).
Diese Darstellung konzentriert sich nicht auf die Umwandlung von dicken Büchern in PDF-Dateien, sondern folgt dem Prinzip, Leistungen, Bedeutungen, Ereignisse und Funktionen auf einem Zeitstrahl anzuordnen und zeitpunkt- oder zeitraumbezogen abrufbar und lesbar zu machen. Diese Grundidee verdanken wir also den Machern der KFF. Die damit verknüpfte Erleichterung einer zeitbezogenen Betrachtung und Abrufbarkeit erschwerten wir allerdings gleich dadurch wieder etwas, dass wir noch eine sach-, themen- oder funktionsbezogene Perspektive hinzufügten. Die "Meilensteine" können Interessenten also sowohl so nutzen, dass sie fragen, was zwischen "1881 und 1914" oder im Jahr 1932 gesundheitspolitisch los war als auch dadurch, dass sie sich z. B. anschauen, was zwischen 1881 und 2007 im Bereich Selbstbeteiligung oder zwischen 1945 und 1990 in der DDR passierte.
Nach bereits längerer Vorankündigung der "Meilensteine" starten wir diese Art der Verbreitung von Wissen und durchaus auch von Wertungen in der Gewissheit ihrer Unvollständigkeit und
Verbesserungsfähigkeit als einem natürlich noch "lernenden Projekt".
Insbesondere weil die schier unendliche Reihe der gesetzlichen Interventionen und Innovationen des deutschen Gesundheitswesens verhältnismäßig vollständig ist, fällt der qualitative Mangel an Informationen über zivilgesellschaftliche oder soziale Determinanten und Beiträge zur Gesundheitspolitik besonders auf. So hat manches Buch, manche Initiative eines Arbeitgeberverbandes oder Plan eines Ärzteverbands, die eine oder andere Titelgeschichte oder mancher Bericht von Illich, Auerbach, dem SPIEGEL und dem Gesundheits-Sachverständigenrat beachtlich zur Entwicklung des Gesundheitswesens und der Gesundheitspolitik beigetragen. Wenn also Hinweise auf Personen, Initiativen, Gesetze und Analysen fehlen, ist dies keine Ignoranz oder Minderbewertung, sondern Ausdruck des "Baustellencharakters" der "Meilensteine".
Auch wenn es hier nie um Vollständigkeit gehen kann und die nächste Gesundheitsreform mit Neuauflagen alter Instrumente und manchmal auch Neuigkeiten immer schon "vor der Tür" steht, werden wir selber und hoffentlich auch dank der aktiven Mithilfe der NutzerInnen, sukzessive vorhandene große und kleine Lücken zu schließen versuchen. Zum "work in progress" gehört auch, dass wir langsam aber sicher Links zu im Internet zugänglichen fremden oder eigenen Materialien und Dokumenten einbauen werden.
Besonders den eingangs erwähnten Autoren und Herausgebern von Quellenwerken danken wir dafür, dass sie mit Darstellungsformen begonnen haben und viele der Informationen zusammen getragen haben, die wir dann
für unser "Meilenstein"-System "plündern" konnten. Wenn unsere zwangsläufigen Lücken und Verkürzungen dann doch den einen oder anderen Nutzer der "Meilensteine" zur tiefergehenden Lektüre einer der genannten Werke animieren würde, würde es uns freuen und wir empfehlen dies auch
ausdrücklich. Für die Transparenz über einen der blindesten Flecken in der jüngeren deutschen Gesundheitspolitik-Geschichte, nämlich die Entwicklung des Gesundheitswesens in der DDR, haben wir "Wessis" vorerst fast alles dem "Ossi" Prof. Dr. med. Jens Uwe Niehoff zu verdanken. Auch wenn er nicht
müde wird zu betonen, er habe als Sozialmediziner in der DDR recht wenig Überblick über die dortige Gesundheitspolitik besessen.
Literatur:
• Kaiser Family Foundation (KFF) (2007): Medicare: A timeline of key developments (zuletzt 12. Juni 2007:)
• Frerich, Johannes; Frey, Martin (1996): Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, Band 1 bis 3. München/Wien.
• Steffen, Johannes (2006): Sozialpolitische Chronik. Die wesentlichen Änderungen in der Arbeitslosen-, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie bei der Sozialhilfe (HLU) und der Grundsicherung für Arbeitsuchende - von den siebziger Jahren bis heute. Bremen (zuletzt 6. Juni 2007 erreichbar)
• Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMAS); Bundesarchiv (Hrsg.) (seit 2001): Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945. (projektiert auf 11 Bände). Baden-Baden, Nomos Verlag.