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EU-Rechtsprechung birgt große Risiken für das Solidarprinzip in der GKV

Artikel 0498 Die von der Bundesregierung geplante Gesundheitsreform schwächt das Solidarprinzip in der Gesetzlichen Krankenversicherung, wodurch das System der GKV längerfristig in Konflikt mit dem europäischen Kartellrecht geraten könnte. Zu diesem Ergebnis wächst kommt Prof. Dr. Thorsten Kingreen, Professor für Sozial- und Gesundheitsrecht an der Universität Regensburg in einem Rechtsgutachten im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. Das geplante "GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz" (GKV-WSG) bringe Veränderungen, die "jede für sich gesehen, keinen fundamentalen Systemwechsel bedeuten", schreibt der Rechtswissenschaftler. Sie verstärkten aber die Tendenz zu "einer schleichenden Verdünnung des Solidarprinzips". Für die GKV mit ihrer staatlich geregelten Sonderstellung könne diese Entwicklung europarechtliche Konsequenzen haben. Denn bislang gelten die Krankenkassen wegen des von ihnen verfolgten Solidarprinzips nicht als Unternehmen im wettbewerbsrechtlichen Sinne und sind deshalb von den Bestimmungen des europäischen Kartellrechts ausgenommen. Grund für diese Ausnahme: Es wird davon ausgegangen, dass "der freie Wettbewerb von Versicherungsunternehmen" den Solidarausgleich zwischen gesunden und kranken, jungen und alten sowie Versicherten mit niedrigerem und höherem Einkommen "nicht gewährleisten könnte", so Kingreen.

Als tendenziell problematisch werden drei Regelungen im Gesetzesentwurf bewertet:
• Die Bestimmung über Selbstbehalte der Versicherten, weil sie ein bislang kollektiv versichertes Risiko individualisierten: "An die Stelle solidarischer Finanzierung nach Maßgabe der individuellen Leistungsfähigkeit tritt die Privatfinanzierung nach Maßgabe der Leistungsinanspruchnahme. Wegen ihrer Wechselwirkung mit den dafür erbrachten Prämienleistungen der Krankenkassen sind sie nur für tendenziell gesunde und junge Menschen attraktiv. Je nach Ausgestaltung von Selbstbehalt und Prämie profitieren zudem Besserverdienende in stärkerem Maße als Schlechterverdienende", resümiert Kingreen.

• Die Möglichkeit zur Beitragsrückerstattung, wenn Versicherte keine Leistungen der Versicherung abgerufen haben. Auch Beitragsrückerstattungen relativierten den Solidarausgleich -zwischen Gesunden und Kranken sowie zwischen jungen und alten Versicherten. "Nicht betroffen ist zwar das Verhältnis zwischen Besser- und Schlechterverdienenden ", analysiert der Jurist. "Geschwächt wird aber der Solidarausgleich zwischen Alleinstehenden und Familien, weil Beitragsrückerstattungen auch davon abhängig gemacht werden, dass volljährige mitversicherte Kinder keine Leistungen in Anspruch nehmen."

• Regelungen zur Steuerfinanzierung des Solidarausgleichs in der GKV. "Wenn und soweit" dieser Ausgleich "aus dem System ausgelagert wird, ist das System selbst nicht mehr solidarisch", gibt Kingreen zu bedenken. "An die Stelle der Binnensolidarität der Sozialversicherung tritt die Außensolidarität der Steuerzahler für eine nur noch nach dem Versicherungsprinzip handelnde Sozialversicherung." Allerdings sei die Beteiligung des Bundes an der Finanzierung der Krankenkassen bislang und auch nach den Planungen für das GKV-WSG noch "verhältnismäßig gering ". So stünden 1,5 Milliarden Euro aus Steuermitteln einem Finanzaufwand von 25,7 Milliarden Euro allein für die beitragsfreie Mitversicherung von Familienmitgliedern gegenüber.

An welchem Punkt die "Verdünnung des Solidarprinzips" die europäischen Kartellbehörden auf den Plan rufen könnte, sei kaum zu prognostizieren, betont der Wissenschaftler. Völlig klar sei, dass eine Umstellung der Kassenfinanzierung auf Pauschalprämien die GKV vor europarechtliche Probleme stellen würde: "Die von der CDU/CSU ins Gespräch gebrachte einheitliche Gesundheitsprämie, bei der der Solidarausgleich weitgehend auf die Gesamtgesellschaft verlagert würde, wäre ohne Zweifel das Ende des Solidarprinzips in der Sozialversicherung", so Kingreen. Das Gutachten steht hier zum Download (PDF, 48 Seiten) zur Verfügung:
Prof. Thorsten Kingreen: Europarechtliche Implikationen des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung

Bereits vor kurzem hatten Rolf Rosenbrock und Thomas Gerlinger in einem Aufsatz in den WZB-Mitteilungen (Heft 113 September 2006) auf dieselbe Problematik aufmerksam gemacht, die beispielsweise zu Problemen bei den gesetzlichen Vorgaben zur Arzneimittel-Vergütung führen könne: "Das europäische Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht beinhaltet unter anderem das Verbot 'wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und Verhaltensweisen' sowie das Verbot des 'Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung'. Zugleich zählen Kollektivverhandlungen und -verträge zwischen den Verbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Leistungsanbieter (zum Beispiel Ärzte und Krankenhäuser) zu den tragenden Säulen des Steuerungsregimes in der GKV. Der Staat hat dabei den Krankenkassen unter anderem das Recht zugewiesen, Erstattungshöchstgrenzen der GKV (Festbeträge) für bestimmte Arzneimittel festzusetzen. Im Lichte der Wettbewerbsregeln der EU stellt sich die Frage, ob das nicht dem Tatbestand der Preisabsprachen durch marktbeherrschende Unternehmen gleichkommt und die Vertragsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungsanbietern nicht als wettbewerbswidrige Kartelle angesehen werden müssen."
Der Aufsatz (PDF, 3 Seiten) steht hier zur Verfügung: "Abnehmende Autonomie - EU-Wettbewerbsrecht birgt Risiken für das deutsche Gesundheitssystem"

Gerd Marstedt, 19.1.2007