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Trotz eklatanter Forschungslücken: individuelles Entlassungsmanagement wirkt sich für PatientInnen mehrfach positiv aus.

Artikel 2638 Obwohl niemand im deutschen Gesundheitssystem mit seiner charakteristischen Abschottung oder seinem Hürdenreichtum zwischen stationärer, ambulanter medizinischer und pflegerischer Versorgung die Notwendigkeit von Entlass- oder Überleitungsmanagement offen bestreitet und dies auch in einer Fülle gesetzlicher und vertraglicher Vorschriften der letzten anderthalb Jahrzehnte seinen Niederschlag gefunden hat, ist die Empirie des Entlassmanagements trotz der zuletzt 2017 konkretisierten Bestimmungen unzulänglich (vgl. dazu den hkk-Gesundheitsreport 2018: Entlassmanagement). Das Recht auf Entlassmanagement ist einem erheblichen Teil der derzeit jährlich rund 19 Millionen KrankenhauspatientInnen unbekannt und Millionen von PatientInnen erhalten selbst dann wenn sie über ihr Recht informiert werden keine oder eine lediglich lückenhafte individuelle Entlassplanung.
Zur Rechtfertigung dieses Zustands gibt es eine Reihe von allgemeinen (z.B. zu viel bürokratischer Aufwand, zu wenig Personal) und spezifischen (z.B. fehlende Formulare, ungeeignete Drucker, Unklarheiten über Zuständigkeiten) technisch-organisatorischen Hinweisen, die bei entsprechendem Interesse in den allermeisten Fällen relativ kurzfristig klärbar wären. Dass dies möglich ist, zeigen die nicht wenigen und strukturell unterschiedlichen Kliniken in denen zum Teil seit mehreren Jahren ein funktionierendes Entlassmanagement existiert. Ein stillschweigendes Argument könnten Zweifel am Nutzen sein.

Ein bereits 2016 veröffentlichter so genannter Cochrane Review untersuchte was 30 randomisierte kontrollierte Studien mit 11.964 TeilnehmerInnen, die zur allgemein medizinischen, chirurgischen oder psychiatrischen Behandlung im Krankenhaus waren, dazu an Ergebnissen zu Tage gefördert hatten. Verglichen wurden PatientInnen mit individuellem Entlassmanagement und mit normaler Entlassung.

Die wichtigsten Ergebnisse sehen wie folgt aus:

• PatientInnen mit allgemein medizinischem Behandlungsanlass mit Entlassmanagement lagen etwas kürzer im Krankenhaus und hatten auch ein geringeres Risiko innerhalb der drei Monate nach Entlassung wieder einen Krankenhausaufenthalt nötig zu haben. Die gesicherte Evidenz war aber moderat. Dieser Nutzen ist für Patienten mit Sturzfolgen fraglich.
• Bei älteren PatientInnen mit allgemein medizinischem oder chirurgischem Behandlungsanlass gab es lediglich kleine oder keine Unterschiede bei der Sterblichkeit.
• Die Zufriedenheit von PatientInnen mit Entlassmanagement und Krankenhauspersonal war höher als bei PatientInnen mit Standardentlassung - mit sehr geringer Sicherheit und Evidenz.
• Und auch bei möglichen Kostenunterschieden sind sich die RCTs bei PatientInnen mit allgemein-medizinischem Behandlungsanlass unsicher, ob es irgendeinen Kostenunterschied gibt. Immerhin sind die Kosten der Entlassung mit Entlassungsmanagement nicht gesichert und/oder deutlich höher.
• Zu ihrer eigenen Überraschung mussten die Cochrane Reviewer aber feststellen, dass wichtige Aspekte der Wirksamkeit und des Nutzens von Entlassmanagement in keiner einzigen der von ihnen untersuchten Studien untersucht wurden. So gab es keine detaillierten Analysen wie und wodurch die Schnittstelle zwischen stationärer und ambulanter Behandlung überbrückt wurde und ob sich dies auf die weitere Gesundheit und die generell vernachlässigte Lebensqualität der PatientInnen ausgewirkt hat. Dies traf auch für die Kommunikation zwischen KrankenhausbehandlerInnen und ambulanten Leistungserbringern zu.

Trotz vieler Forschungsdesiderata und teilweise geringer Evidenz gibt es also genug Hinweise auf einen vorhandenen Nutzen von individueller Entlassungsplanung im Krankenhaus.

Der 74-seitige Cochrane Review Discharge planning from hospital von Gonçalves-Bradley DC, Lannin NA, Clemson LM, Cameron ID, Shepperd S. (Cochrane Database of Systematic Reviews 2016, Issue 1) ist komplett kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 11.12.18


Koordinationslücken in Gesundheitsversorgung: Trotz Hausarzt- und IV-Verträgen Deutschland international "Spitze"

Artikel 2033 Weltweit entfällt auf die gesundheitliche Versorgung von Erwachsenen mit ernsthaften akuten Erkrankungen und chronisch Kranken ein überproportionaler Anteil der jeweiligen nationalen Gesundheitsausgaben - und dafür sind soziale Gesundheitssysteme auch vor allem da. In den USA zeigte z.B. eine aktuelle Analyse, dass 89% sämtlicher Gesundheitsausgaben für die Versorgung der kränkesten 30% ausgegeben werden müssen. Ein wesentlicher Grund für den notwendigen Aufwand sind die komplexen Behandlungs-, Versorgungs- und Unterstützungs-Bedarfe und -Bedürfnisse dieser PatientInnen, die kurativer, ambulanter, stationärer, rehabilitativer, pflegerischer oder auch sozialer ("Teilhabe") Art sind. Um dies zum Wohle der Kranken leisten zu können, sind die Kooperation der Versorgungsbereiche und ihr koordiniertes Handeln eine zentrale Voraussetzung.

Eine Gruppe us-amerikanischer Gesundheitswissenschaftler untersuchte nun mit Unterstützung des Commonwealth Fund, wie dieser Bedarf an Koordination von Behandlung etc. in elf vergleichbaren Mitgliedsländern der OECD funktionierte. Dazu befragten sie 2011 im Rahmen des "Commonwealth Fund International Health Policy Survey of Sicker Adults" 18.000 Erwachsene im Alter von 18 und mehr Jahren in Australien, Kanada, Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, Neuseeland, Norwegen, Schweden, Schweiz, Großbritannien und den USA. Die Befragten sollten unabhängig davon, ob ihr akutueller Gesundheitszustand gut oder schlecht war, im Jahr vor der Befragung einen Krankenhausaufenthalt hinter sich gehabt haben oder eine große Operation, an einer ernsthaften Erkrankung oder behandlungsbedürftigen Verletzung leiden.

Neben vielen anderen Aspekten (z.B. Nicht-Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen aus Kostengründen) liefert die Analyse wichtige Daten zu den in den letzten zwei Jahren vor der Befragung erfahrenen Koordinationslücken in den 11 Gesundheitssystemen und den Möglichkeiten, diese durch das Angebot von so genannten "medical homes" zu schließen. Als "medical home" gilt eine frei zugängliche im besonderen Maße patientenzentrierte primärärztliche (Gruppen-)Praxis, in der die Erkrankungs- und Behandlungsgeschichte der Patienten bekannt ist und die auch die gesamte Behandlung und Unterstützung ihrer Patienten koordiniert.

Die wichtigsten Ergebnisse lauten:

• Der Anteil dieser Art von Patienten, der Probleme mit der Verfügbarkeit von Untersuchungsergebnissen nach der Entlassung etc., Doppeluntersuchungen oder einen Mangel an Kommunikation zwischen den sie behandelnden Experten, also Koordinationslücken zwischen Behandlungssektoren erlebte, war in Deutschland mit 59% weltweit am höchsten. Frankreich und die USA folgen mit 57% und 54% auf den Plätzen. Am wenigsten haben die PatientInnen mit solchen Lücken in der Schweiz (30%) und in Großbritannien (33%) zu tun. Alle diese PatientInnen waren in normalen Praxen in Behandlung, die nicht der Definition eines "medical home" entsprachen.
• Schaut man sich im Vergleich die Erfahrung mit Versorgungs- oder Koordinationslücken der in "medical homes" behandelten PatientInnen an, sind aus deutscher Sicht zwei Ergebnisse herausragend: Auch diese PatientInnen haben in Deutschland weltweit am meisten mit den beschriebenen Versorgungskoordinationsproblemen zu tun. 53% sind es in Deutschland, 49% in Frankreich, aber nur noch 15% in Großbritannien oder 33% in den USA. Als zweites fällt auf, dass der Unterschied der Koordinationsdefizite zwischen "medical home"- und normal versorgten PatientInnen in Deutschland mit 6 Prozentpunkten am geringsten ist. In den USA beträgt dieser Unterschied 21 Prozentpunkte oder in Kanada 19 Prozentpunkte.
• Die Ergebnisse zeigen in den europäischen "medical home"-"Hochburgen Schweiz und Großbritannien u.a. erheblich geringere Erfahrungen mit medizinischen, Medikations- oder Labortestirrtümern als in den anderen Ländern mit weniger solcher Leistungsanbieter. Die Wahrscheinlichkeit eines Irrtums stieg im Übrigen in allen Ländern mit der Anzahl der Ärzte.
• Obwohl der Anteil der hier untersuchten schwer und/oder chronisch Erkrankten, der eine Behandlung aus Kostengründen nicht in Anspruch nehmen konnte oder abbrach, in den USA mit 42% am höchsten war, lag dieser Wert in den beiden "medical home"-"Musterländern" Schweiz und Großbritannien mit 18% und 11% immer noch recht hoch. Von den 1.200 in Deutschland interviewten Patienten gaben solche Probleme 22% an und nahmen so Platz 4 der Hitliste dieses Problems ein.

Eine Fülle weiterer international vergleichbarer Funktionsprobleme von Gesundheitssystemen im Bereich der schwer und chronisch Kranken findet sich in diesem deshalb auch durchweg lesenswerten Aufsatz.

Der komplette Aufsatz "New 2011 Survey Of Patients With Complex Care Needs In Eleven Countries Finds That Care Is Often Poorly Coordinated" von Cathy Schoen, Robin Osborn, David Squires, Michelle Doty, Roz Pierson und Sandra Applebaum ist in der November-Online First-Ausgabe der Fachzeitschrift "Health Affairs" kostenlos erhältlich.

Eine Zusammenfassung der Ergebnisse und diverse der immer exzellenten Chartpacks findet man ebenfalls auf der entsprechenden Studien-Website des Commonwealth Fund.

Bernard Braun, 9.11.11


Wohin geht und wohin könnte eine Behandlungs-Vergütungsreform gehen? Das Beispiel der "episode-based payment" in den USA.

Artikel 1742 Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Köhler, denkt kaum ein Jahr nach der letzten Vergütungsreform für niedergelassene Ärzte und kaum, dass deren Mehrheit die neue Vergütungsordnung überhaupt verstanden hat, darüber nach, mit der nächsten Reform die "Rolle rückwärts" zur Einzelleistungsvergütung zu schlagen.
Dies formulierte er Mitte 2009 in einem Interview im Deutschen Ärzteblatt so: "Für die spezialisierte fachärztliche Versorgung wollen wir abweichen von der grundsätzlichen Forderung nach Einzelleistungsvergütung. Wenn man hier eine Angleichung vornimmt, dann ans DRG-System. Für alle anderen Bereiche fordern wir aber eine Rückkehr zur Einzelleistungsvergütung."

Wegen deren gewaltigen ökonomischen aber auch gesundheitlichen Nachteilen für PatientInnen und Versicherte denken in den USA, wo es noch Einzelleistungsvergütung in Aktion gibt, Gesundheitswissenschaftler dagegen über radikale Alternativen nach.

Eine ist die der bereits einmal im Forum-Gesundheitspolitik vorgestellte "bundled payment". Über eine eng verwandte Variante, nämlich die "episode based payment", gibt es eine im Januar 2010 veröffentlichte interessante Darstellung, die vom liberalen Think Tank "Center for Studying Health System Change (HSC)" erstellt wurde.

Zu Beginn ihrer Ausführungen fassen die AutorInnen nochmals knapp die Nachteile der Einzelleistungsvergütung ("fee-for-service") so zusammen:

• Überangebot und -nutzung gut bezahlter Leistungen und Unterangebot- und -nutzung weniger gut bezahlter Leistungen,
• Förderung einer Medizinkultur, die meist nicht explizit vergüteten, aber qualitativ wichtigen Aktivitäten wie der Koordination der Versorgung einen geringen Wert beimisst und
• Die mittelbare Förderung des Erhalts eines fragmentierten Versorgungssystems, in dem Anbieter wie vor allem PatientInnen erhebliche Orientierungsprobleme haben.

Aber auch pauschalierte Vergütung in einem weiterhin fragmentierten Anbietersystem haben für einzelne Ärzte nachweisbare Nachteile für Ärzte wie PatientInnen.

Die bereits in den 1990er Jahren in den USA entwickelte Lösung, die möglichst viele Nachteile vermeidet und Vorteile produziert, war das "bundled payment". Hier erhalten z.B. niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser für die Behandlung einer Krankheit einen Gesamtbetrag, den sie sich teilen mussten. Trotz einiger Kostenersparnisse bei der Behandlung von Herzkranken durch eine Bypass-Operation zwischen 12 und 27 % bemühte sich die staatliche Krankenversicherung Medicare nicht darum, diese Vergütungsform auf andere stationär behandelte PatientInnen auszudehnen. Dies ändert sich seit 2009 wieder, sodass jetzt auch wieder realer über das Für und Wider sowie die organisatorischen Umstände des "bundled" oder "episode-based payment" nachgedacht werden kann.

Die AutorInnen stellen dazu u.a. die folgende zu berücksichtigenden oder zu klärenden Aspekte vor:

• Was sind und wie definiert man "Behandlungsepisoden" von präakuten Beschwerden über akute Beschwerden, eine ambulante oder stationäre Behandlung/Operation bis zu postakuten und rehabilitativen Leistungen mehrerer Anbieter? Vorgestellt wird dazu eine Art Weiterentwicklung des bereits von den DRGs bekannten Grouper, der hier nur "episode grouper" heißt und auch bereits technisch existiert.
• Welches qualitative Gewicht und damit auch wie viel Geld haben die einzelnen Behandlungsschritte und Behandler an der Gesamtbehandlung?
• Wie viel Gesamtvergütung entfällt damit auf die Gesamtbehandlung und woran orientiert sich dieses Honorar? Spannende Alternativen sind die Ausrichtung an "historischen Kosten" oder an externen Benchmark-Größen oder gar an leitlinienorientierten Standards.
• Wie identifiziert man die Anbieter oder Leistungserbringer, denen die Episodenvergütung zufließt? Geschieht dies retrospektiv oder sollten nicht Gruppen von Anbietern den Krankenversicherungsunternehmen prospektiv ein Leistungsbündel für definierte Behandlungsepisoden anbieten?
• Wie verhält sich schließlich eine derartige Vergütungsreform zu anderen laufenden oder konzipierten Vergütungsreformen sowie Versorgungsformen, wie den DRGs oder den "patient-centered medical homes"?
• Wie implementiert man ein "episode-based payment program"? Welche Erfahrungen gibt es aus der praktischen Erprobung des so genannten "PROMETHEUS"-Modells, das sich an Episoden und an einer evidenzbasierten Konzeption von "good care" orientiert?
• Schließlich weisen sie auch auf die Notwendigkeit hin, derartige Vergütungsreformen nicht vor den Patienten zu verbergen, sondern diese einzubeziehen.

Worauf es beim Inhalt und der Form oder Performance weiterer Vergütungsreformen in den USA ankommt, bringen die VerfasserInnen zum Schluss ihrer Analyse auf folgenden Punkt: "Without dramatic reform of payment structures, payers and patients can expect to experience continued rapid growth of health care costs and little improvement in the quality or coordination of care. But moving too rapidly with reforms that bundle payments for all care delivered to a given patient can backfire if the majority of providers are ill equipped to respond constructively. Episode-based payments, if carefully developed, can serve as a bridge for many providers between current fee-for-service structures and a future that emphasizes care of whole patient populations."

Auch wenn der vorliegende Text nichts Abschließendes oder Evidenzbasiertes über den gesundheitlichen und finanziellen Nutzen des "episode-based payment" sagt, könnte seine Beachtung zumindest etwas mehr Phantasie in die Vergütungsdiskussion in Deutschland bringen. Der Traum von der Einzelleistungsvergütung scheint demgegenüber vor allem aus Patientensicht ein erfolgloser und verlustreicher Weg "zurück in die Zukunft" zu sein.

Den 16 Seiten umfassenden und zahlreiche Literaturhinweise enthaltenden Text "Episode-Based Payments: Charting a Course for Health Care Payment Reform" aus dem "National Institute for Health Care reform" des HSC von Hoangmai H. Pham, Paul B. Ginsburg, Timothy K. Lake und Myles Maxfield gibt es kostenlos.

Bernard Braun, 22.2.10


Bandscheibenversorgung mit Lücken - Versorgungsforschung im Zeitverlauf mit GKV-Routinedaten

Artikel 1643 Jeder 20. Versicherte der Gmünder Ersatzkasse (GEK) erhält einmal im Jahr eine Bandscheibendiagnose, jeder 60. Versicherte wird deswegen zeitweise oder dauerhaft arbeitsunfähig. Je nach Schweregrad und Therapieform entstehen jährlich direkte Kosten von 200 bis 4.500 Euro pro Fall. Hierbei handelt es sich auch nicht um ein stagnierendes Geschehen, sondern ums genaue Gegenteil: Allein das Neuauftreten (Inzidenz) einer ambulant neu diagnostizierten Bandscheibenverlagerung im Bereich der Lendenwirbelsäule (lumbal) stieg zwischen 2004 und 2007 um 20 Prozent. Die Häufigkeit von Krankenhausaufenthalten aufgrund eines Bandscheibenschadens im selben Rückenbereich nahm im selben Zeitraum um 40 Prozent zu. In beiden Fällen ist der denkbare Effekt unterschiedlicher Alters- und Geschlechtsstrukturen ausgeschlossen.

Grundlage dieser Ergebnisse war die in Deutschland erstmals durchgeführte individuenbezogene Längsschnittanalyse von ambulanten und stationären Routinedaten zu vier Bandscheiben-Diagnosen (Schäden und Verlagerungen im unteren [lumbalen] und oberen [zervikalen] Rückenbereich) von 1,1 Millionen GEK Versicherten aus den Jahren 2005 bis 2007. Da die GEK-Versicherten durchschnittlich jünger als die Versicherten in der GKV sind und Bandscheibenerkrankungen im Lebensalter zwischen 50 und 59 Jahren kumulieren, sind die Versicherten einer Reihe von gesetzlichen Krankenkassen eher mehr von den hier dokumentierten Problemen betroffen und garantiert nicht weniger.

In dem am 14. September 2009 veröffentlichten "Bandscheiben-Report" finden sich außerdem eine Reihe weiterer wichtiger Hinweise für das seit kurzem eingeführte Recht der Versicherten auf ein Versorgungsmanagement (§ 11 Abs. 4 SGB V):

• So haben Patienten mit der ambulanten Diagnose "Rückenschmerzen" eine um 90% bis 127% höhere Wahrscheinlichkeit an einer der vier Bandscheibenerkrankungen zu leiden als Personen ohne "Rückenschmerzen". Diese nicht ernst zu nehmen kann also weitreichende Folgen haben.
• Bei 65 Prozent der Patienten, die im ersten Jahr nach Erstdiagnose weiterhin spezifische Diagnosen erhielten, aber ohne Therapie blieben, leiden auch noch im zweiten Jahr an der Erkrankung bzw. bekommen entsprechende Diagnosen ohne erkennbare Therapie.

Bewertet man die gefundenen Versorgungswirklichkeiten mit Hilfe der in Leitlinien konsentierten Behandlungsempfehlungen von medizinischen Fachgesellschaften und Versorgungsträgern, zeigen sich sowohl erfreuliche Übereinstimmungen oder leitlinienkonforme Behandlungsmuster als auch erhebliche Verbesserungsbedarfe:

• Das verbreitet zu findende eher abwartende und primär auf Schmerzreduktion und Entspannung setzende Behandeln ist leitlinienkonform. Ebenso die insgesamt nur selten zu beobachtenden Lagerungen und Immobilisationen der Patienten.
• Zu gering und nicht leitlinienkonform ist der relativ geringe Anteil der Bandscheibenerkrankten, die eine Rehabilitation durchführen: 22 Prozent der operierten Bandscheibenpatienten erhalten nach dem Krankenhausaufenthalt eine Anschlussheilbehandlung oder eine aktivierende Reha-Maßnahme.
• Bei bis zu 40 Prozent der stationär eingewiesenen Patienten ist keine anschließende stationäre oder ambulante Behandlung dokumentiert.
• Obwohl die Empfehlung, die Abfolge von notwendigen kurativen und rehabilitativen Leistungen möglichst nahtlos und zügig durchzuführen, eindeutig ist, sieht es in Wirklichkeit zum Teil etwas anders aus: Auffällig ist z.B. die durchschnittlich vierwöchige Lücke zwischen klinischer und postklinischer Behandlung bei über 40 Prozent der Patienten. Erst nach zwölf Wochen reduziert sich deren Anteil auf 20 Prozent.
• Ein großer Verbesserungsbedarf besteht bei der Durchführung von präventiven Leistungen, die sehr selten in den Versorgungsdaten zu finden sind.
• Ähnliches gilt für explizit erbrachte spezielle rehabilitative Leistungen zur schnellen Reintegration in Beruf und Alltag - einem der wichtigsten Mittel, Chronifizierung zu verhindern.
• Der Anteil von Erkrankten, die nur passive oder passivierende statt aktivierende Leistungen erhalten, ist mit rund einem Viertel im Lichte der Leitlinienempfehlungen zu hoch.

Schließlich zeigten die Analysen eine Reihe von ungleichen Behandlungen bei gleichen Diagnosen oder auch Unterversorgung:

• Erwerbspersonen erhalten generell häufiger und mehr Rehabilitationsleistungen als Nichterwerbspersonen. Dies erklärt zum Teil, dass Frauen diese Leistungen seltener erhalten als Männer.
• Kräftige Unterschiede gibt es aber auch zwischen Erwerbstätigen mit höherem beruflichen Status und ihren KollegInnen mit geringerer Qualifikation: Die Wahrscheinlichkeit für versicherte Techniker und qualifizierte Angestellte dann, wenn sie an lumbalen Bandscheibenschäden oder -verlagerungen leiden, eine Rehamaßnahme zu erhalten ist 1,9-mal bis 2,5-mal so hoch wie bei Geringerqualifizierten und nicht Erwerbstätigen.

Zeigt der Report einerseits die Machbarkeit solcher Analysen mit Routinedaten, so greift eine ausschließlich auf diesen Daten beruhende Analyse manchmal zu kurz und erlaubt z.B. keine weiterreichende Identifikation von Ursachen der schlechteren Versorgung und Inanspruchnahme von Rehabilitationsmaßnahmen bei den weiblichen Erkrankten. Um mehr über Hintergründe und Einflussfaktoren auf Entscheidungen zu erfahren, bedarf es aber mündlicher Befragungen von Leistungserbringern, Krankenkassensachbearbeitern und Patienten.

Der von Wissenschaftlern des Zentrums für Sozialpolitik (ZeS) der Universität Bremen (Maren Bauknecht, Bernard Braun und Rolf Müller) erstellte 141 Seiten umfassende "GEK-Bandscheiben-Report" ist komplett und kostenlos als PDF-Datei erhältlich.

Bernard Braun, 15.9.09


Stationär-ambulant im Medicare-System der USA: Hohe Rehospitalisierungsrate und wenig patientenzentrierte Behandlungskoordination

Artikel 1524 Die patientenzentrierte Verknüpfung von stationärer mit ambulanter Versorgung oder mindestens eine standardmäßige Kooperation ist offensichtlich nicht nur ein Problem des deutschen Gesundheitssystems. Dies zeigt jedenfalls eine gerade veröffentlichte Analyse der nachstationären Krankheits- und Behandlungsverläufe von Medicare-Patienten in den USA.
Wissenschaftler untersuchten dazu über einen Zeitraum von 15 Monaten Routinedaten von 11.855.702 Versicherten mit einem Krankenhausaufenthalt aus den Jahren 2003 und 2004.

Dabei förderten sie folgende Muster von Behandlungsverläufen zu Tage:

• 52 % der nach einer Operation aus dem Krankenhaus entlassenen Personen wurden im ersten Jahr nach der Entlassung entweder wieder in ein Krankenhaus aufgenommen (so genannte "bounce-back admissions") oder starben.
• Rund 20 % der Entlassenen kamen innerhalb von 30 Tagen wieder ins Krankenhaus. 34 % kamen innerhalb 90 Tagen wieder, 45 % nach 180 Tagen und 56 % machten dies innerhalb eines Jahres
• 90 % der erneuten Aufenthalte waren ungeplant, der Rest geplant.
• Für die Hälfte der Versicherten, die innerhalb 30 Tagen wieder im Krankenhaus behandelt werden mussten, gab es keinen stichhaltigen Hinweis (kontrolliert wurde das Vorliegen von Abrechnungen niedergelassener Ärzte), dass sie zwischen den beiden stationären Behandlungsepisoden einen Arzt gesehen hatten.
• Die höchsten Rehospitalisierungsraten gab es u.a. bei Psychosen, nach gefäßchirurgischen Eingriffen und chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD). Obwohl Patienten mit chronischen Erkrankung höhere Wiedereinweisungsraten aufwiesen, wurden auch akut erkrankte Patienten oft wiedereingewiesen. Dies gilt z.B. für 20 % der Patienten mit Lungenentzündungen.
• Der durchschnittliche Aufenthalt der hier identifizierten Patienten mit Wiederaufnahme war 0,6 Tahe länger als bei einem Patienten, der mit derselben DRG in Behandlung war, aber innerhalb der letzten 6 Monate nicht in einem Krankenhaus lagen.
• Die Studie schätzt den Anteil der durch diese Wiedereinweisungen entstandenen Ausgaben am 102,6 Mrd.-Haushalt von Medicare im Jahr 2004 auf 17,4 Mrd. US-Dollar.
• Dass es sich bei den Rehospitalisierungsraten keineswegs um eine "natürliche" Erscheinung handelt, zeigt der Sachverhalt, dass die fünf Bundesstaaten mit den höchsten Raten (Maryland, New Jersey, Louisiana, Illinois und Mississippi) 45 % über denen der fünf Bundesstaaten (Idaho, Utah, Oregon, Colorado und New Mexico) mit den niedrigsten Raten lagen.

Besonders die Beobachtung, dass ein großer Teil der "bounce-back admissions" auf mangelhafter Koordination der Behandlung beruht, ist für die Wissenschaftler Anlass zu betonen, eine sichere Versorgung "requires care that centers on the patient and transcends organizational boundaries."
So richtig diese Forderung ist, so schwer fällt es den Autoren, dies zu konkretisieren. Ein Vorschlag lautet, dass die "Medicare Payment Advisory Commission (MedPac)" den "Centers for Medicare and Medicaid Services (CMS)" empfiehlt, den Krankenhäusern ihre risikoadjustierten Wiedereinweisungsraten mitzuteilen. Außerdem sollten Krankenhäusern mit hohen Wiedereinweisungsraten bei bestimmten Erkrankungen die Honorare gekürzt werden.

Der in einem Editorial der Redaktion des "New England Journal of Medicine (NEJM)", in dem diese Ergebnisse jetzt veröffentlicht wurden, geäußerte Ruf nach "shared incentives to create "better coordination of care between inpatient and outpatient domains" ist nur etwas konkreter, drückt sich aber darum herum, Genaueres zu der Art der Anreize zu sagen.

Dabei gibt es in den USA aktuelle Debatten und erste grobe Konzepte wie man ein am Behandlungs- und Versorgungsbedarf der Patienten orientiertes kooperatives Vorgehen unterschiedlicher Leistungserbringer mit den Mitteln der Honorierung stimulieren könnte.

Sowohl die gerade in der "Web Exclusives"-Ausgabe der renommierten Gesundheitspolitikzeitschrift "Health Affairs" (28, no. 2 (2009): 262-271) veröffentlichte Studie "Payment Reform Options: Episode Payment is a good place to start" - kostenfrei nur ein Abstract - als auch ein im März erschienenes komplett kostenlos erhältliches 37-seitiges Konzeptpapier von MitarbeiterInnen (Stuart Guterman, Karen Davis, Cathy Schoen und Kristof Stremikis) des liberalen "Commonwealth Fund" zum Thema "Reforming provider payment. Essential Building block for health reform" diskutieren Formen von "bundled payment" als einer Möglichkeit spürbare Anreize zu sektorenübergreifender Behandlung zu geben. Dabei spielt insbesondere der Gedanke eine Rolle, nicht mehr jeden an der Behandlung beteiligten Leistungserbringer einzeln zu bezahlen, sondern z.B. einen Betrag oder ein Budget für die gesamten "episodes of care" zu zahlen. Welche Anteile dieser Behandlungsepisodenbezahlung auf die einzelnen Behandler entfallen und wie die Übergänge auszusehen haben, müssen die Beteiligten zusammen vereinbaren. Platt ausgedrückt: Wer Geld verdienen will, muss kooperieren und bestimmten Qualitätskriterien an der Schnittstelle genügen.
In den Worten von Gutermann et al. geht es darum "(to) promote more effective, efficient, and integrated care delivery through "bundled payment" approaches that reimburse providers for care delivered over a period of time or for the duration of an illness, with rewards for quality, outcomes, and efficiency".

Der im "New England Journal of Medicine (NEJM)" (Volume 360, 14: 2. April 2009: 1418-1428) erschienene Aufsatz "Rehospitalizations among Patients in the Medicare Fee-for-Service Program" von Stephen F. Jencks, Mark V. Williams und Eric A. Coleman ist komplett kostenlos erhältlich.

Das in derselben NEJM-Ausgabe veröffentlichte Editorial "Revisiting Readmissions — Changing the Incentives for Shared Accountability" von Arnold M. Epstein ist ebenfalls komplett frei erhältlich.

Bernard Braun, 2.4.09


Ein Allgemeinarzt als fester Ansprechpartner auch in Versorgungszentren und Gemeinschaftspraxen erhöht die Versorgungsqualität

Artikel 1505 Medizinische Versorgungszentren und Gemeinschaftspraxen haben im ambulanten Versorgungssystem der USA (und ebenso in England) eine weitaus höhere Bedeutung als bei uns in Deutschland, auch wenn beide Organisationsformen für niedergelassene Ärzte auch hier immer stärker an Bedeutung gewinnen. Patienten, die sich in solche Praxen begeben, geraten u.U. allerdings an wechselnde Ärzte. Und dies wiederum, so hat eine jetzt veröffentlichte US-amerikanische Studie gezeigt, ist mit einer schlechteren, weniger an Leitlinien orientierten Versorgungsqualität verbunden. Positiv formuliert: Die Verbundenheit ("connectedness") eines Patienten über einen längeren Zeitraum mit ein und demselben Arzt erweist sich als therapeutisch vorteilhaft für diese Patienten.

Die Studie basiert auf einer Auswertung von Patientendaten aus dem Massachusetts General Hospital Network in Boston, Massachusetts, einem Versorgungsnetzwerk mit ambulanten und stationären Einrichtungen. In die Studie einbezogen waren Patienten, die in den Jahren 2003 bis 2005 ambulante medizinische Hilfe des Netzwerks mindestens einmal in Anspruch genommen hatten. Diese wurden anhand der Patientendaten einer von zwei Gruppen zugeordnet: Patienten, die immer denselben Allgemeinarzt einer Praxis in Anspruch genommen hatten, und solche, die zwar dieselbe Praxis besucht hatten, dort aber von verschiedenen Ärzten behandelt worden waren. Patienten, die verschiedene Praxen besucht hatten, wurden aus der Analyse ausgeschlossen. In der ersten Gruppe (mit festem Arzt) waren dann 92.000 Patienten zu finden, in der zweiten Gruppe (mit fester Praxis aber wechselndem Arzt) knapp 54.000 Patienten. Die Patienten hatten über beide Gruppen hinweg 181 verschiedene Ärzte in 13 verschiedenen Praxen besucht, wobei es sich um 4 kommunale Versorgungszentren handelte und 9 ambulante Einrichtungen an Kliniken.

In der Auswertung der Patientendaten wurde dann überprüft, inwieweit sich für die Patienten in den beiden Gruppen unterschiedliche Vorgehensweisen nachweisen lassen, was die Beachtung medizinischer Leitlinien anbetrifft.
• Dabei wurden einerseits Maßnahmen zur Früherkennung berücksichtigt, soweit diese für die Patienten (hinsichtlich Alter und Geschlecht) in Frage kamen: Mammographie, Gebärmutterhals-Untersuchung, Darmkrebsspiegelung.
• Andererseits wurden die medizinischen Leistungen im Rahmen von Disease Management Programmen bei zwei Arten chronischer Erkrankung erfasst (Diabetes, Koronare Herzerkrankung): Messung des HbA1c-Werts (Blutzuckerwerte der letzten acht Wochen), Cholesterin-Spiegel usw.

Die beiden Patientengruppen wiesen allerdings einige Unterschiede auf, etwa was die Zahl der Arztbesuche in den letzten drei Jahren anbetrifft. Dieser Wert lag im Durchschnitt bei 8 Besuchen (bei festem Arzt) bzw. 4 Besuchen (feste Praxis mit wechselndem Arzt). In ähnlicher Weise war auch die Zeit seit dem letztem Arztbesuch unterschiedlich und betrug in der Gruppe mit festem Arzt 4 Monate, in der mit fester Praxis 13 Monate. Aufgrund dieser Unterschiede wurden dann multivariate Datenanalysen durchgeführt, in denen auch diese Besonderheiten und weitere Merkmale (Alter, Geschlecht, Rasse, Zahl der Arztbesuche usw.) berücksichtigt wurden.

Dabei zeigte sich, dass bei der Mehrzahl der einbezogenen 9 Indikatoren (Früherkennung: 3; diagnostische Leistungen bei chronischer Erkrankung: 6) signifikante Unterschiede zwischen den beiden Gruppen vorzufinden waren. Diese Differenzen blieben auch dann bestehen, wenn man die Zahl der Arztbesuche in Rechnung stellte. Durchgängig war zu finden: Patienten mit einem festen Arzt bekommen häufiger Früherkennungs-Untersuchungen und diagnostische Leistungen, sofern sie an einer chronischen Erkrankung leiden. Es ist also nicht die Häufigkeit der Kontakte im Versorgungssystem, was hier eine Rolle spielt, sondern wohl die auf ärztlicher Seite profundere Kenntnis des Patienten und seiner Krankengeschichte.

Hier ist ein Abstract zur Studie: Steven J. Atlas u.a.: Patient-Physician Connectedness and Quality of Primary Care (Annals of Internal Medicine, 3 March 2009, Volume 150, Issue 5, Pages 325-335)

Vor kurzem hatten zwei andere Veröffentlichungen empirische Befunde erbracht, die in eine ähnliche Richtung weisen. Deutlich geworden war einerseits, dass eine feste Anlaufstelle im medizinischen Versorgungssystem für viele Patienten eine bessere Versorgungsqualität bewirkt. In einer Auswertung von Daten des Bertelsmann Gesundheitsmonitor waren Patienten danach unterschieden worden, ob sie einen Hausarzt als reguläre Erstinstanz bei gesundheitlichen Beschwerden nutzen und der Arzt ihre Krankengeschichte gut kennt. Sofern dies der Fall war, zeigten sich diese Patienten deutlich zufriedener hinsichtlich der Kommunikation mit dem Arzt und der Gesprächsatmosphäre in der Sprechstunde, haben Früherkennungsuntersuchungen (Gesundheits-Checkup, Krebsfrüherkennung) häufiger in Anspruch genommen und sind auch häufiger mit der Gesundheitsversorgung insgesamt zufrieden und kritisieren seltener, dass in der medizinischen Versorgung die Zeit für das Arzt-Patient-Gespräch zu kurz ausfällt. vgl.: Eine feste Anlaufstelle im medizinischen Versorgungssystem bewirkt für viele Patienten eine bessere Versorgungsqualität

In einer anderen, international vergleichenden Studie von etwa 11.000 Erwachsenen in sieben Ländern war untersucht worden, ob bei Patienten mit einem "medizinischen Zuhause" ("medical home") Vorteile in der medizinischen Versorgung zu finden sind. Auch hier zeigte sich, dass solche Patienten zufriedener mit der Therapie und auch der Arzt-Patient-Kommunikation sind und nach eigener Meinung auch seltener Behandlungsfehler oder unnötige Doppeluntersuchungen erleben. vgl. hierzu: Ein "medizinisches Zuhause" bietet nach Patientenurteilen eine bessere Behandlungsqualität

Gerd Marstedt, 5.3.09


Gute Vorbereitung auf die Krankenhausentlassung (Entlassplan, Arztinfo) bringt spürbaren gesundheitlichen und finanziellen Nutzen.

Artikel 1477 Viele der aus dem Krankenhaus entlassenen Patienten sind noch nicht wieder voll genesen und brauchen sowohl akutmedizinische Behandlung als auch oft eine Reihe nichtmedizinischer oder -ärztlicher sozialer Unterstützungsangebote, um ihre vorherige Lebensqualität wieder erreichen zu können.

Angesichts der zusätzlich in den letzten Jahren auch in Deutschland spürbar verkürzten Liegezeiten im Krankenhaus entscheidet eine gute Vorbereitung des Patienten auf die Zeit danach und die Vorbereitung eines möglichst nahtlosen und zügigen poststationären Behandlungs- und Unterstützungsprozesses wesentlich über die Heilung der Patienten, d.h. die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der stationären Behandlung mit.
Der entlasspunktnahe Fluss von Informationen über die Diagnosen, den Behandlungsverlauf, die wichtigsten Behandlungsinhalte (z. B. Arzneimittelverordnungen) und die Prognose der entlassenen Patienten zu ihren ambulanten Versorgungsexperten wird daher seit langem zu den wichtigsten Entlassleistungen des Krankenhauses gerechnet. Als Instrumente dienen der "gute alte" Arztbrief und mündliche Informationen für die ambulante Versorge.

So plausibel und nahezu selbstverständlich all dies erscheint (ein Kommentar der hier gleich vorgestellten Studie bringt dies auf den Punkt: "Nevertheless, the results of this study confirm what those working in hospital medicine already know: It's high time we reconfigure the discharge process.") so verwunderlicher ist das in einer aktuellen Studie ("Wandel von Medizin und Pflege im DRG-System [WAMP]")des Zentrums für Sozialpolitik (ZeS) der Universität Bremen und des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) erkannte weit verbreitete Fehlen oder das schlechte Funktionieren des Entlassungs- oder Überleitungsmanagements in Krankenhäusern und die in Befragungen von Krankenhausärzten sogar in den letzten Jahren schlechter werdende Kooperation der Krankenhaus- mit Haus- und Fachärzten.

Sollte dieser Zustand damit begründet werden, man wisse überhaupt nicht, ob der vermutete Nutzen einer guten Kommunikation von stationär und ambulant tätigen Ärzten wirklich etwas für die Gesundheit oder gar den Geldbeutel der Versicherten bringe, zeigten die gerade veröffentlichten Ergebnisse einer randomisierten Studie des weiteren Behandlungsverlaufes von Krankenhauspatienten eines Allgemeinkrankenhauses eines städtischen Ballungsgebiets (Boston Medical Center) nach dem Klinikaufenthalt das Gegenteil.

Dazu verteilten die ForscherInnen eine Gruppe von 749 PatientInnen zufällig in eine Gruppe, welche das gewöhnliche, also schmalspurige und nicht unbedingt auf nahtloses Geschehen orientierte Entlassprogramm erhielten und eine Gruppe mit einem aufwändigen und neu konzipierten Entlassungsprogramm. Die neuartige Entlassleistung bestand aus einem Bündel neuer Akteure und Aktivitäten.
Dazu gehörten spezielle Entlass-Krankenschwestern bzw. -beauftragte ("nurse discharge advocates"), die früh damit beginnen, einen individuellen Entlassungsbericht zusammenzustellen, umfangreiche Kontaktinformationen der ambulanten Behandlungshelfer, Terminvereinbarungen mit diesen, die Ergebnisse der bisherigen klinischen Tests, Einnahmepläne für verordnete Medikamente und weitere Informationen. Am Entlassungstag erhält der vorher bekannte oder organisierte Hausarzt des Patienten diesen Entlassbericht und eine Kurzzusammenfassung zur weiteren Behandlung per Fax zugeschickt. Die entlassenen Patienten werden außerdem innerhalb der nächsten vier Tage von einem klinischen Pharmakologen angerufen oder sogar besucht, der sich gezielt um die Alltagstauglichkeit und die mögliche Anpassung der Medikation kümmert.

Die von den ForscherInnen verblindet gemessenen Ergebnisse (sie wussten also nicht, in welcher Entlassenengruppe der analysierte Patient war) sahen so aus:

• Innerhalb der 30 Tage nach Entlassung hatten die PatientInnen in der Interventionsgruppe eine um ein Drittel geringere Häufigkeit von erneuten Krankenhausaufenthalten oder gar Notaufnahmeereignisse (0,314 Besuche gegenüber 0,451 Besuche pro Person und Monat). 90 Patienten in der Kontroll-/Standardgruppe gegenüber 61 in der Interventionsgruppe mussten eine Notfallstation aufsuchen. Wiedereinweisungen gab es bei 76 gegenüber 55 PatientInnen.
• Die Patienten der Interventionsgruppe wussten signifikant besser über ihre Entlassdiagnose Bescheid (70 % in der Kontroll- und 79 % in der Interventionsgruppe), kannten ebenfalls signifikant mehr und besser den Allgemeinmediziner, bei dem sie sich weiterbehandeln mussten (89 % zu 95 %) und berichteten auch häufiger, dass sie sich optimal auf ihre Entlassung vorbereitet gefühlt hatten (55 % gegenüber 65 %).
• Die Behandlungskosten waren in der Interventionsgruppe ebenfalls rund ein Drittel niedriger als in der Kontrollgruppe. Pro Kopf der Angehörigen der Interventionsgruppe waren dies 412 US-$.

Die von der Forschergruppe selbst benannte Schwäche dieser Studie, nämlich an einem einzigen großstädtischen Krankenhaus durchgeführt worden zu sein, schmälert nichts an dem Nachweis der Machbarkeit eines solchen Managements. Wer an der Übertragbarkeit in andere Regionen der USA, auf an speziellen Krankheit erkrankten Personen und natürlich nach Deutschland zweifelt, sollte es daher auf einen gar nicht so aufwändigen neuen Versuch ankommen lassen und u. U. dabei auch weitere Instrumente entwickeln und einführen.

Von dem Aufsatz "A Reengineered Hospital Discharge Program to Decrease Rehospitalization A Randomized Trial" von Brian W. Jack et al., der am 3. Februar 2009 in der US-Fachzeitschrift "Annals of Internal Medicine" (Volume 150, Issue 3: 178-187) erschienen ist, gibt es kostenlos nur ein Abstract.

Bernard Braun, 3.2.09


Ein "medizinisches Zuhause" bietet nach Patientenurteilen eine bessere Behandlungsqualität

Artikel 0994 Ein "medizinisches Zuhause" ("medical home"), also eine feste Anlaufstelle im Versorgungssystem, etwa in der Art, wie sie im Hausarztmodell der Gesetzlichen Krankenkassen umgesetzt ist, bietet für Patienten erhebliche Vorteile in der medizinischen Versorgung. Dieses Ergebnis zeigt sich im internationalen Vergleich trotz der teilweise gravierenden Unterschiede zwischen den Gesundheitssystemen beispielsweise von Deutschland, Großbritannien und den USA. Patienten, die ein solches "medizinisches Zuhause" gewählt haben, sind zufriedener mit der Therapie und auch Arzt-Patient-Kommunikation und erleben nach eigener Meinung auch seltener Behandlungsfehler oder unnötige Doppeluntersuchungen. Dies sind zentrale Befunde einer Befragung von etwa 11.000 Erwachsenen in sieben Ländern (Australien, Neuseeland, USA, Kanada, Großbritannien, Niederlande und Deutschland), über die jetzt in der Zeitschrift "Health Affairs" berichtet wurde.

Die Finanzierung der Studie erfolgte über den Commonwealth Fund und verschiedene nationale Einrichtungen, in Deutschland durch das Institut für "Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen". Die Telefon-Interviews wurden Anfang 2007 durchgeführt. Dabei wurde eine Vielzahl von Fragen gestellt zur Bewertung des Gesundheitssystems und persönlichen Erfahrungen in der medizinischen Versorgung. Im Zentrum der späteren Analysen stand dann die Unterscheidung, ob Patienten eine feste Anlaufstelle im Medizinsystem haben oder nicht. Definiert wurde dies über vier Indikatoren:
• Jemand hat einen Haus- oder Allgemeinarzt oder eine Versorgungseinrichtung, zu der er gewöhnlich als erstes geht
• Der dort besuchte Arzt kennt die Krankengeschichte des Patienten
• Der Arzt oder die Einrichtung ist während der normalen Praxiszeiten telefonisch einfach zu erreichen
• Der Arzt oder die Einrichtung übernimmt die Koordination mit anderen Medizinern, Einrichtungen oder Kliniken.
Sofern alle diese Fragen bejaht wurden, stufte man Befragungsteilnehmer als "Patienten mit fester Anlaufstelle" ein. In den einzelnen Ländern lag die Quote dieser Gruppe zwischen 45 und 61 Prozent und war dabei in Deutschland mit 45% am niedrigsten.

Beim Vergleich der beiden Gruppen mit und ohne feste Anlaufstelle zeigen sich dann erhebliche Unterschiede für die Qualität der medizinischen Versorgung, und dies auch bei einer getrennten Betrachtung der einzelnen Länder. Diese Differenzen werden bei einer Vielzahl von Indikatoren deutlich. Im Folgenden sind Daten nur für Deutschland angegeben, die Unterschiede sind jedoch auch in anderen Ländern in ähnlicher Form zu finden. Teilweise fallen die Vorteile des "medizinischen Zuhause" in den USA am deutlichsten auf. Einige Beispiel aus der sehr großen Zahl der in der Studie veröffentlichten Differenzen:

• Verständlichkeit der ärztlichen Informationen: 81% der Patienten mit fester Anlaufstelle sagen, dass dies meist der Fall ist, aber nur 61% derjenigen ohne feste Anlaufstelle
• Arzt nimmt sich ausreichend Zeit: 82% vs. 59%
• Arzt bezieht den Patienten bei Entscheidungen mit ein: 72% vs. 52%
• Bewertung der ärztlichen Leistungen als gut oder sehr gut: 65% vs. 40%
• Durchführung unnötiger, doppelter Diagnostik nach Patientenansicht: 11% vs. 18%
• Probleme bei der Zusammenarbeit mehrerer Ärzte: 16% vs. 23%
• guter Informationsfluss nach Klinikaufenthalt: 89% vs. 79%

Bei einer Teilgruppe chronisch erkrankter Patienten wurden überdies noch folgende Differenzen deutlich:
• Informations- oder Erinnerungsschreiben für mögliche Teilnahme an Früherkennung: 67% vs. 48%
• Widersprüchliche Informationen von verschiedenen Ärzten: 14% vs. 24%
• Medizinische Behandlungsfehler: 11% vs. 19%

Die Studie zeigt damit unter dem Strich und zumindest aus der Perspektive von Patientenerfahrungen, dass ein "Lotse" im Versorgungssystem erhebliche Vorteile mit sich bringt. In Deutschland ist das Angebot eines Hausarztmodells inzwischen für alle Gesetzlichen Krankenkassen verpflichtend vorgeschrieben. Die Diskussion, ob dieses Modell nun in gesundheitlicher oder auch ökonomischer Hinsicht überhaupt Vorteile mit sich bringt, ist hierzulande noch immer im Gange und nicht selten eher von Standesinteressen als gesundheitspolitischer Weitsicht getragen (vgl.: Hausarztmodelle der Krankenkassen: Bessere Versorgung zu höheren Kosten oder nur höhere Kosten?). Die jetzt vorgelegten Ergebnisse sollten diese Diskussion mit ein wenig mehr Fakten anreichern.

Die Studie ist hier im Volltext nachzulesen: Cathy Schoen u.a.: Toward Higher-Performance Health Systems: Adults’ Health Care Experiences In Seven Countries, 2007 (Health Affairs, 26, no. 6 (2007): w717-w734)
Hier ist die PDF-Datei zur Studie

Gerd Marstedt, 2.11.2007


Projekt zur Integrierten Versorgung zeigt kürzere Verweildauer und höhere Patientenzufriedenheit

Artikel 0437 Eine signifikant bessere Einschätzung des eigenen Gesundheitszustandes nach der Behandlung, kürzere Verweildauern im Krankenhaus und der Rehabilitation sowie eine hohe Patientenzufriedenheit durch gute und abgestimmte medizinische Abläufe - das sind die positiven Ergebnisse der ersten wissenschaftlichen Evaluation eines Integrierten Versorgungsvertrages (IV). Als Grundlage dazu diente der bundesweit erste Vertrag dieser Art, den die Krankenkasse Barmer für Patienten mit künstlichen Hüft- und Kniegelenken mit den Krankenhäusern der St. Franziskus-Stiftung in Münster, den ambulanten Rehabilitationseinrichtungen der inoges ag in Krefeld und verschiedenen Reha-Kliniken in Westfalen und Nordrhein geschlossen hatte. Die Ergebnisse belegen, dass die Integrierte Versorgung die Erprobungsphase bestens bestanden hat und sich zu einem zukunftsfähigen Modell für alle Beteiligten entwickelt.

Das Institut für Strategieentwicklung in Kooperation mit der Universität Witten/Herdecke befragte 234 Patienten, die im Rahmen des IV-Projektes, sowie 400 Patienten, die in vergleichbaren Krankenhäusern, allerdings im Rahmen der Regelversorgung endoprothetisch versorgt wurden. Während Patienten in der Regelversorgung 14,8 Tage im Krankenhaus verbrachten, waren es bei IV-Patienten nur 13,5 Tage, also 1,3 Tage weniger. Deutlich besser beurteilten die IV-Teilnehmer ihren Krankenhausaufenthalt als die Vergleichsgruppe. 84 Prozent der IV-Patienten erlebten ihren Krankenhausaufenthalt als gut, in der Vergleichsgruppe waren es 62,9 Prozent. Ein ähnlich gutes Resultat gab es für die anschließende Rehabilitation. Bei IV- Patienten konnte die Maßnahme um 1,7 Tage (stationäre Rehabilitation) verkürzt werden. Der Gesamteindruck war bei 81,8 Prozent der befragten IV-Patienten gut. Diesen Eindruck hatten dagegen nur 65,9 Prozent der Patienten in der Regelversorgung. Auch die ambulante Rehabilitation konnte in der IV-Versorgung um 3 Tage verkürzt werden.

Zum Projekt gibt es einen Evaluationsbericht (Zusammenfassung, 12 Seiten): Projekt zur Integrierten Versorgung Endoprothetik Münster - Ergebnisse der Evaluation durch das Institut für Strategieentwicklung

Gerd Marstedt, 31.12.2006


Integrierte Versorgung: Aufsätze und Dokumente

Artikel 0259 "Integrierte Versorgung" (IV) bezeichnet eine Vernetzung zwischen den einzelnen medizinischen Versorgungssektoren, insbesondere zwischen niedergelassenen Haus- oder Fachärzten und stationären Einrichtungen. Sie kooperieren bei der Behandlung ihrer Patienten und teilen sich ein gemeinsames Budget. Integrierte Versorgung ist eine Form der medizinischen Versorgung, die bislang keine große Rolle im deutschen Gesundheitswesen gespielt hat.

Eine ausführliche Erörterung der Thematik bietet ein Aufsatz von Elif Leyla Özyurt und Anja Schwiedernoch, der als Projektarbeit im Rahmen einer Fortbildung im Gesundheitsmanagement erarbeitet wurde. Der 61seitige Aufsatz steht hier zum Download zur Verfügung: Integrierte Versorgung - ein Managed Care Ansatz in Deutschland

Detaillierte Informationen bietet auch die Seite des BMG zum Thema mit Hintergründen und Beispielen, Interviews und Statements. Bundesministerium für Gesundheit: Integrierte Versorgung

Gerd Marstedt, 29.10.2006