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Wettbewerb à la GKV oder wie kritisch darf eine gesetzliche Krankenkasse mit Direktverträgen anderer gesetzlichen Kassen umgehen?

Artikel 1695 Im 5. Buch des Sozialgesetzbuchs finden sich spätestens seit dem Wettbewerbsstärkungsgesetz aus dem Jahr 2007 eine Fülle von Möglichkeiten, dass einzelne Krankenkassen mit einzelnen Leistungserbringern so genannte Direkt- oder Selektivverträge abschließen können. Der Wettbewerb sollte nach dem Willen des Gesetzgebers nicht mehr länger mit niedrigen Beiträgen um möglichst junge und gesunde Mitglieder stattfinden, sondern z.B. auch mit guten Versorgungsangeboten für chronisch Kranke. Bis Mitte 2009 gehörte auch die hausarztzentrierte Versorgung zu den Möglichkeiten einzelner Kassen durch tatsächlich oder vermutlich gute ambulante Versorgung aufzufallen und Mitglieder zu gewinnen oder zu halten. Nachdem diese Wettbewerbsmöglichkeit von relativ wenigen Krankenkassen genutzt wurde und dazu noch äußerst phantasielos, müssen seit dem 1.7.2009 alle gesetzlichen Krankenkassen hausarztzentrierte Versorgung anbieten.

Aus der Zeit des möglichen "echten" Wettbewerbs um Hausarztversorgung stammt nun ein Rechtsstreit zwischen mehreren gesetzlichen Krankenkassen, der am 2. November 2009 durch ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg abgeschlossen wurde und bemerkenswerte Grundsätze für das Wettbewerbsverständnis in der GKV enthält.

Zu den Requisiten des Rechtsstreites gehören:

• Eine kritische Veröffentlichung der BKK-Verbund Plus über einen Hausarztvertrag einer konkurrierenden Innungskrankenkasse. Dort hieß es auf komparativen Krawall gebürstet unter der Überschrift "Schlucken Sie nicht jede Pille! - Gut versorgt beim Hausarzt? - eine Versicherten-Information Ihrer Krankenkassen" u.a.: "In Hausarztmodellen sind Sie in der Wahl Ihres Arztes eingeschränkt! Sie binden sich damit vertraglich für mindestens 1 Jahr an einen Hausarzt. Als Patient ist es Ihr gutes Recht, Ihren Arzt selbst und frei zu wählen! Wir schreiben Ihnen die Wahl Ihres Arztes nicht vor. Der richtige Arzt für Sie nimmt sich ausreichend Zeit für das Gespräch mit Ihnen, informiert Sie über alle Schritte und lässt Sie nicht warten.
Kein Hausarzt ohne Facharzt! Neben der qualifizierten hausärztlichen Behandlung halten wir für Sie eine umfassende und optimale Therapie auch mit Fachärzten und Klinischer Therapie für notwendig. Mit dieser "Hand in Hand-Versorgung" haben Sie die besten Möglichkeiten zur Genesung. Therapiefreiheit für Ihren Hausarzt! In Hausarztmodellen wird auf die Therapiefreiheit von Ärzten aktiv Einfluss genommen. Mit dem dadurch eingesparten Geld, soll ein Hausarztmodell vorwiegend finanziert werden."
• In diesen Äußerungen sah eine konkurrierende Krankenkasse mit Hausarztvertrag einen unzulässigen Eingriff in ihren Geschäftsbetrieb und versuchte der BKK-Verbund Plus diese Werbeaussagen durch ein einstweiliges Anordnungsverfahren vor dem Sozialgericht untersagen zu lassen. Vor allem enthielten die Äußerungen der BKK unwahre Tatsachenbehauptungen. Vor allem gehe die hausarztzentrierte Versorgung mit keiner Einschränkung der ärztlichen Therapiefreiheit einher.
• Sowohl das Sozialgericht als auch das danach angerufene Landessozialgericht sahen allerdings keinen Anlass für eine einstweilige Anordnung. Das zentrale Argument lautete: Auf das Verhältnis der gesetzlichen Krankenkassen untereinander, also alles Körperschaften öffentlichen Rechts, könne das klassische Wettbewerbsrecht zwischen Unternehmen nicht angewendet werden. Jedem der immer zahlreicher werdenden, mit Mitgliederhalte- und gewinnungsaufgaben betrauten KassenmitarbeiterInnen schreiben die LSG-Richter in ihrer Urteilsbegründung ein paar bemerkenswert wirklichkeitsnahe Merksätze ins Stammbuch: "Der Antragstellerin drohen keine gegenwärtigen Nachteile durch das von den Antragsgegnern vertriebene Informationsblatt. Denn die streitigen Informationen sind bereits am 12. Mai 2009 von der betreffenden Internetseite der Antragsgegnerin zu 2 gelöscht worden und diese wurde angewiesen, das Informationsblatt nicht mehr zu verwenden. Die Antragstellerin weist zwar zutreffend darauf hin, dass allein damit eine Wiederholungsgefahr nicht beseitigt wird. Das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr als Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch begründet in Fallkonstellationen der vorliegenden Art jedoch noch keinen Anordnungsgrund. Zur Durchsetzung eines Unterlassungsanspruches gegen ein tatsächliches oder vermeintliches Fehlverhalten einer Krankenkasse oder ihres Verbandes im Bereich der Mitgliederwerbung - hierzu rechnet der Senat das von den Antragsgegnerinnen herausgegebene Informationsblatt - kann den Beteiligten grundsätzlich die Klärung der streitigen Fragen in einem Hauptsacheverfahren zugemutet werden, da eine mögliche Reaktion der Versicherten auf das beanstandete Verhalten in der Regel nicht sofort zu größeren wirtschaftlichen Nachteilen bei einer Krankenkasse führt. Solche wirtschaftlichen Nachteile sind im Übrigen auch nicht konkret bezeichnet und belegt worden".
• Trotz der Nichtdringlichkeit einer Entscheidung kommen die Richter dann aber zu einem Urteil bzw. aus seiner Sicht einzuhaltenden Wettbewerbsregeln, die wahrscheinlich die wettbewerbseifrigen Marketingabteilungen der gesetzlichen Krankenkassen noch mehr erschüttern. Die Entscheidung gegen die Verbreiterin der Informationsbroschüre wird u.a. mit folgenden Argumenten begründet: "Die [BKKen] könnten mit den von der Antragstellerin beanstandeten Aussagen [...] gegen das öffentlich-rechtliche Gebot der Rücksichtnahme und die Pflicht zur sachbezogenen Information verstoßen. Schon der Umstand, dass die Antragsgegner die hausarztzentrierte Versorgung nahezu ausschließlich negativ darstellen, dürfte mit einer sachbezogenen Information kaum vereinbar sein, da es sich dabei um ein besondere Versorgungsform handelt, die nicht nur im Gesetz vorgesehen ist, sondern die nach § 73b Abs. 1 SGB V alle Krankenkassen anbieten müssen. Darüber hinaus spricht viel dafür, dass die Antragsgegner mit diesen Äußerungen den Eindruck erwecken, den Versicherten werde die Wahl ihres Arztes vorgeschrieben. Dabei ist die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung freiwillig (§ 73b Abs. 3 Satz 1 SGB V). Die Aussagen zur Therapiefreiheit in Hausarztmodellen entsprechen wohl ebenfalls nicht den Tatsachen. Denn die ärztliche Therapiefreiheit darf in der hausarztzentrierten Versorgung nicht eingeschränkt werden und wird es auch nicht. Die Behauptung der Antragsgegner, das Informationsblatt sei als interne Argumentationshilfe für Mitarbeiter herausgegeben worden, dürfte schon durch die Überschrift widerlegt werden. Darin werden die Ausführungen als "Versicherten-Information Ihrer Krankenkassen" bezeichnet; außerdem werden die Versicherten auch an anderer Stelle direkt angesprochen."

Der juristische Kommentator Robert Kazemi bewertet auf der Fach-Website "medizinRecht" das Urteil dann auch am 2. November 2009 so: "Meinungsfreiheit auf Seiten der gesetzlichen Krankenversicherung hat Grenzen. Anders als grundrechtsgeschützte Privatpersonen und Vereinigungen sind die gesetzlichen Krankenkassen in hohem Maße der Neutralität verpflichtet. Offene Kritik am System steht ihnen nicht zu".

Rechnet man zu diesen Besonderheiten gesetzlicher Krankenkassen auch noch die besondere Verpflichtung zur Wahrheit und Bedarfsgerechtigkeit der ihren Versicherten angebotenen Leistungen hinzu, kann sich jeder gesetzlich Krankenversicherte anhand der Broschürenberge seiner Kasse ein Bild über die Größe der Diskrepanz zwischen Norm und Wirklichkeit machen.

Den Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 02.11.2009 (AZ L 11 KR 3727-09 ER/B) können Interessenten kostenlos nachlesen.

Bernard Braun, 18.12.09