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GKV-Mitglieder müssen nicht lückenlos Leistungsrecht kennen und Kassen haften für "Versicherungsvertretertricks" ihrer Mitarbeiter
Ein letztinstanzliches Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe vom 18. Dezember 2012 vermittelt einen interessanten Einblick in das Klima des in der GKV herrschenden Wettbewerbs um neue Mitglieder und den u.a. durch Zielvereinbarungen aufgebauten Druck auf die mit der Mitgliedergewinnung beauftragten Mitarbeiter in den GKV-Kassen. Auch wenn es dabei zu offensichtlich falschen oder ungesetzlichen Zusagen an künftige Mitglieder und zum Einsatz teilweise absurder Mittel kommt, bedeutet dies noch lange nicht, dass der "schwarze Peter" beim Mitglied hängen bleiben muss.
In dem jetzt rechtlich geklärten Fall wechselte eine Frau mit einer Krebserkrankung nach einem Beratungsgespräch mit einem Kassenmitarbeiter ihre Kasse. Das künftige Mitglied ließ sich wegen ihrer Krebserkrankung naturheilkundlich behandeln und kaufte unter anderem Nahrungsergänzungsmittel, Vitamine, Dinkelkaffee, Kräuterblut, Natron, Mineraltabletten und Bierhefe. Die Frau konnte u.a. auch durch Zeugen belegen, dass ihr der Mitarbeiter mündlich die Erstattung der Kosten für diese Mittel durch ihre neue Kasse zugesagt hatte. Die Belege für die von ihr zum Teil verauslagten Kosten für diese naturheilkundliche ärztliche Behandlung, die Nahrungsergänzungsmittel, auch für Zahnreinigung, Praxisgebühren sowie Zuzahlungen für Massagen und für Medikamente reichte sie bei dem Kassenmitarbeiter ein und bat darum sie an die Kasse weiterzuleiten. Da dem Kassenmitarbeiter aber spätestens zu diesem Zeitpunkt klar war, dass die Kostenerstattung in diesem Fall unmöglich war, griff er zu einem absurden Mittel: Er beglich die Beträge aus seiner eigenen Tasche - ohne dass die spätere Klägerin dies erkennen konnte! Nachdem dies offensichtlich nach einer Weile nicht mehr finanzierbar war, stoppte er die Erstattung. Als sich daraufhin das Neumitglied direkt an ihre Krankenkasse wandte, flog der Schwindel auf. Die Krankenkasse weigerte sich dann aber unter Berufung auf die angeblich für jedes Mitglied bekannte Rechtslage zu den engen Grenzen der Kostenerstattung, einen Betrag von mehreren Tausend Euro zu begleichen. Dabei spielten Argumente ein Rolle, die das OLG in seinem Urteil so zusammenfasste: "Unabhängig von einem Wechsel der Krankenkasse seien die geltend gemachten Kostenpositionen nicht erstattungsfähig und medizinisch nicht erforderlich. Die Klägerin treffe ein weit überwiegendes, eine Schadensersatzpflicht ausschließendes Mitverschulden. Die behauptete Zusage des Zeugen K (der Kassenmitarbeiter) sei derart lebensfremd gewesen, der Umfang der gesetzlichen Leistungen auch allgemeinhin bekannt, so dass die Klägerin nicht auf die Zusage habe vertrauen dürfen, zumindest aber darauf hätte bestehen müssen, dass ihr diese schriftlich gegeben werde."
So kam es zur Klage, die über ein vor dem Landgericht gewonnenes Verfahren zuletzt zum OLG Karlsruhe führte. Beide Gerichte hielten die Schadenersatzansprüche der Frau für rechtens.
Das OLG stellte bei dieser Gelegenheit grundsätzlich drei Dinge zum Verhältnis zwischen gesetzlichen Krankenkassen und ihren Mitgliedern fest:
• Krankenkassen sind keine Wirtschaftsunternehmen, sondern Körperschaften öffentlichen Rechts, deren Handeln besonderen Ansprüchen genügen muss. Den von Kassen mit der Gewinnung neuer Mitglieder beauftragten Mitarbeiter muss dies unmissverständlich klar gemacht werden und vor unseriösen Versprechungen als Mittel gewarnt werden. Im OLG-Urteil steht dazu u.a.: "Bei Wahrnehmung der ihr übertragenen Aufgaben im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung obliegt der Beklagten bzw. ihren zuständigen Amtsträgern - …- die Verpflichtung zu gesetzeskonformen Verwaltungshandeln. Nach § 14 SGB I sind die Sozialleistungsträger zu einer zutreffenden Beratung der Versicherten über die Rechte und Pflichte in der gesetzlichen Krankenversicherung verpflichtet. Auskünfte und Belehrungen sind grundsätzlich richtig, klar, unmissverständlich, eindeutig und vollständig zu erteilen … . Die damit im Vorfeld des Wechsels der Klägerin zur Beklagten sowie die danach entfaltete Beratungstätigkeit des Zeugen K im Rahmen von § 14 SGB I ist als hoheitliches Handeln anzusehen."
• Die in der Tat immer unübersichtlicher werdende Welt des SGB V darf sich nicht zu Lasten des Krankenversicherten auswirken. Dazu das OLG: "Aufgrund der Komplexität des Sozialversicherungsrechts und der Verzahnung der gesetzlichen Krankenversicherung mit anderen Sozialversicherungsbereichen (Pflege, Rentenrecht, Sozialhilfe) kann nicht davon ausgegangen werden, dass in der Öffentlichkeit der Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung auch in den Details in der Weise bekannt ist, dass sich die Unrichtigkeit der Auskünfte des Zeugen K der Klägerin aufdrängen musste."
• Daraus folgt dann auch, dass dem Versicherten aus seiner Unkenntnis der Rechtslage grundsätzlich kein (finanzieller) Nachteil entstehen darf. Daher schließt das OLG seine Begründung folgendermaßen: "Nach dem Schutzzweck der verletzten Amtspflicht kann die Klägerin Erstattung der Kosten verlangen, die ihr entstanden sind, weil sie nicht zutreffend über den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung informiert worden ist und daher nicht erstattungsfähige Leistungen in Anspruch genommen hat. Gerade die Beratungspflicht nach § 14 SGB I soll Nachteilen des Versicherten vorbeugen, die ihm dadurch entstehen können, dass er sich in Unkenntnis der Leistungen des Sozialleistungsträgers befindet."
Da nicht jeder künftige Fall von Falschauskünften zum Zwecke der Mitgliedergewinnung so ablaufen muss wie der vorliegende, empfehlen Kommentatoren jeder Person in ähnlicher Konstellation, sich Leistungszusagen vor einem Kassenwechsel schriftlich geben zu lassen oder Zeugen beizuziehen.
Das Urteil des OLG Karlsruhe Urteil vom 18.12.2012, 12 U 105/12: Amtshaftung einer gesetzlichen Krankenkasse wegen unrichtiger Auskunft der Mitarbeiter über den Leistungsumfang; Gegenstand des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist komplett kostenlos auf dem Urteils-Server der baden-württembergischen Justiz herunterladbar.
Bernard Braun, 13.1.13