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Multimorbidität: Alles klar oder doch eher Vorsicht vor Vielfalt und Uneindeutigkeit?

Artikel 2513 In epidemiologischen Analysen und Prognosen, in gesundheitspolitischen Debatten über den künftigen gesundheitsbezogenen Bedarf an Ressourcen oder in Gesundheitssystemvergleichen spielt Multimorbidität eine bedeutende Rolle. Zu dieser Rolle gehört, dass eindeutig klar zu sein scheint, was Multimorbidität ist.
Ob es diese eindeutige Definition wirklich gibt, versuchte nun ein dänisches Gesundheitswissenschaftler-Team durch einen systematischen Review von 163 wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu finden. Diese Suche schloss nicht nur die quantitative Definition des "Multi", sondern auch qualitativ ein, ob es sich um eine bestimmte Anzahl von Krankheiten, Risikofaktoren oder Symptomen handelte. Hinzu kam die Quelle des Wissens über Multimorbidität.

Das Ergebnis zeigte eindeutig, dass es die eindeutige Definition von Multimorbidität nicht gibt, sondern eine ausgesprochene Vielfalt an Defintionen existiert:

• In 37% aller untersuchten wissenschaftlichen Versuche einer Definition lag der Schnittpunkt für das Vorliegen von Multimorbidität bei zwei oder mehr gesundheitlicher Zustände (Krankheiten, Risikofaktoren oder Symptome). In 7% der Studien fängt Multimorbidität bei drei Zuständen an, in 2% sogar schon bei einem. 34% der Studien spezifizierten die in ihnen gewählten Schnittpunkte überhaupt nicht.
• Die meisten Defintionen bezogen sich auf die allgemeine Bevölkerung (42%) und die primäre Krankenversorgung (25%).
• In 42% der Veröffentlichungen lagen den Definitionen selbst wahrgenommene Gesundheitszustände zugrunde.
• In 115 Aufsätzen finden sich individuell konstruierte Defintionen von Multimorbidität. In allen dieser Definitionen treten Krankheiten auf, am meisten Diabetes mellitus Typ 2. Die Anzahl der für die Definition herangezogenen Gesundheitsprobleme bewegte sich zwischen 4 und 147 und die Diagnostik bewegte sich zwischen engen (z.B. Herzinfarkt) und weiteren Diagnosen (z.B. Herzerkrankungen). Risikofaktoren oder Symptome werden in weniger, nämlich in 85% oder 62% dieser Aufsätze genannt. Die verbreitete Mitberücksichtigung von Risikofaktoren trägt maßgeblich zur hohen Prävalenz von Multimorbidität bei.
• Die Schwere der Multimorbidität wird nur noch in 23% der Definitionsversuche berücksichtigt, und dazu auch noch in verschiedenen Weisen.
• Das große Gewicht von Krankheiten und Risikofaktoren und das geringe der Schwere von gesundheitlichen Problemen ist wesentlich dafür verantwortlich, dass die Definitionen eher etwas für Epidemiologen als für den klinischen Alltag von Ärzten oder gar für PatientInnen sind.

Angesichts der eingangs skizzierten großen Bedeutung der Art und der Prävalenz von Multimorbidität ist der offenkundigen Uneindeutigkeit und qualitativen Verschiedenartigkeit ihrer Definition künftig eine wesentlich größere Aufmerksamkeit zu widmen als bisher und in Vergleichen vermieden werden, dass Äpfel mit Birnen verglichen werden.

Wichtige Hinweise liefert der am 8. März 2016 im "Scandinavian Journal of Primary Health Care" erschienene und komplett kostenlos erhältliche Aufsatz The role of diseases, risk factors and symptoms in the definition of multimorbidity - a systematic review von Tora Grauers Willadsen, Anna Bebe, Rasmus Køster-et al.

Bernard Braun, 3.4.16