Home | Patienten | Gesundheitssystem | International | GKV | Prävention | Epidemiologie | Websites | Meilensteine | Impressum

Sitemap erstellen RSS-Feed

RSS-Feed
abonnieren


Weitere Artikel aus der Rubrik
Gesundheitssystem
Medizinisch-technischer Fortschritt


Hilft das Wissen über genetische Risiken das Gesundheitsverhalten zu verändern und sind Therapien nah? Nein, eher nicht!! (25.3.16)
Enger Zusammenhang: Wohlbefinden in der letzten Lebensphase, soziale Ziele, Teilhabe und Aktivitäten (12.3.16)
Antibiotikaresistenzen - Aus der Traum von der Beherrschbarkeit aller Krankheiten (8.7.15)
Public Health als Weg zur Optimierung des Menschen im Sinne besserer Resilienz (28.6.15)
Nutzung von elektronischen Patienteninformationen und Entscheidungshilfen kann Arzt-Patient-Kommunikation negativ beeinflussen (29.1.14)
Verlust von Lebensqualität und Therapietreue durch Spritz-Ess-Abstand bei insulinpflichtigen Typ 2-DiabetikerInnen "not necessary" (16.2.13)
Fortschritt der Prädiktion von Herz-/Kreislaufrisiken durch Biomarker gegenüber Cholesterinindikatoren nur sehr gering (29.12.12)
"Auf den Hund gekommen" - Medizinisch-animalisch-olfaktorischer Fortschritt beim Umgang mit nosokomialen Infektionen in Holland (23.12.12)
Medizinisch-technischer Fortschritt: teuer, aber gut und nützlich!? Das Beispiel der softwaregestützten Analyse von Mammogrammen. (14.8.11)
"Medizin aus der Steckdose und via Bluetooth!?" Neues über den Nutzen und die Grenzen von Telemonitoring und Telemedizin (11.12.10)
"Warten auf den medizinisch-technischen Fortschritt!?" Das Beispiel "Humane Genome Project" (23.6.10)
"Vorsicht Röhre": Bildgebende Diagnostik zwischen Überversorgung und unerwünschten Folgewirkungen (5.6.10)
Biomedizinische Forschung überwiegend von finanziellen Gewinnerwartungen motiviert (12.2.10)
Zunahme der bildgebenden Diagnostik: Unerwünschte Strahlenbelastungen und geringer Nutzen gegen Fehldiagnosen. Lösung in den USA? (2.2.10)
Selbstverständlichkeit oder medizinisch-technischer Fortschritt? WHO-Sicherheitscheck im OP. (22.1.09)
Überversorgung mit Medizintechnik durch Anbieterdruck und Fehleinschätzung des Bedarfs. Beispiel häusliche Defibrillatoren! (21.4.2008)
Von der Einfachheit des medizinisch-technischen Fortschritts - Wie verlängere ich die Dauer des Stillens? (2.9.2007)
Chirurgie in Deutschland: "Studienmuffel" zu 85 Prozent im "Blindflug" (5.1.2007)
Öffnung verstopfter Gefäße nach Herzinfarkt durch kathetergestützte Interventionen (z.B. Stents): Über- oder Fehlversorgung (17.11.2006)
Verdreifachung der GKV-Ausgaben bis 2050 durch medizinischen Fortschritt? (17.10.2005)

Seite mit den Texten aller Artikel aufrufen:
Medizinisch-technischer Fortschritt
 

Andere Rubriken in "Gesundheitssystem"


Umgestaltung, neue Modelle

Finanzierung und Kosten, Lohnnebenkosten

Demografie, Krankheitslast

Medizinisch-technischer Fortschritt

eHealth / IT: Versichertenkarte, Patientenakte

Das Märchen von der Kostenexplosion

Internationaler Gesundheitssystem-Vergleich

Gesundheitswirtschaft

Andere Themen



Chirurgie in Deutschland: "Studienmuffel" zu 85 Prozent im "Blindflug"

Artikel 0450 Als "Blindflüge am Operationstisch" charakterisiert die Internetausgabe der "Frankfurter Allgemeinen", "FAZ.NET" vom 2.1.2007 große Teile des chirurgischen Geschehens in deutschen Krankenhäusern. Gemeint ist, dass in Deutschland wesentlich weniger klinische Studien durchgeführt und daraus gewonnene Erkenntnisse in der OP-Praxis genutzt werden als in vergleichbaren europäischen und nordamerikanischen Ländern. Stattdessen wird allein oder vorherrschend auf die "persönliche Erfahrung und das technische Geschick eines Operateurs" also die gute alte "Eminenz" gesetzt. Die Erkenntnis, dass in Deutschland eminenz- vor evidenzbasierte Chirurgie an der Tagesordnung ist, bezieht die FAZ von medizinischen Experten, die in einigen Publikationen und bei der staatlich geförderten und von der "Deutschen Gesellschaft für Chirurgie" mitgetragenen Gründung des "Zentrums für klinische Studien" aktiv waren und sind. Der jetzige Leiter des Zentrums, der Heidelberger Chirurg Christoph Seiler, stellte zusammen mit seinen Kollegen Wente, Uhl und Büchler die Situation des Faches Chirurgie in einem bereits 2000 und dann 2003 in der Zeitschrift "Digestive Surgery" (Dig Surg 2003;20:263-269) veröffentlichten und komplett zugänglichen Review mit dem Titel "Perspectives of Evidence-Based Surgery" fest, dass nur für weniger als 15 % aller Fragen in der Chirurgie Daten aus randomisierten kontrollierten Studien (RCT) verfügbar waren und sind.
Das lange für diesen defizitären Zustand bemühte technische Argument, es sei in der Chirurgie schwer, den methodischen Anforderungen von RCTs zu genügen, ist mittlerweile in vielfacher Hinsicht überholt und kein absoluter technischer oder ethischer Hinderungsgrund mehr, sich auch in diesem medizinischen Bereich um die "best possible evidence" (Sackett) zu bemühen.

Dass dies geht, welche Ergebnisse erwartet werden können und was unter Umständen auch hinter der zögerlichen Haltung von Chirurgen zur evidenzbasierten Medizin stecken könnte, demonstrierten Seiler et al. bereits in einem im "Deutschen Ärzteblatt"-Heft vom 6.2.2004 publizierten "Plädoyer für mehr evidenzbasierte Chirurgie" am Beispiel der mittlerweile in Deutschland und vielen anderen Länder flächendeckend eingeführten minimalinvasiven laparoskopischen Operationstechnik z. B. zur Entfernung der Gallenblase oder auch des Blinddarms. Diese so genannte "Schlüsselloch-Chirurgie" galt und gilt gegenüber den konventionellen offenen Verfahren als mehrfach überlegen und vorteilhafter. So mindert die Laparoskopie angeblich die Zeit und Intensität postoperativer Schmerzen, verkürzt damit die Rekonvaleszenz- und die Krankenhausverweildauer und hat auch noch ein besseres kosmetisches Ergebnis, ist also billiger und besser! Nur wurde dies lange Zeit nicht praktisch in soliden wissenschaftlichen Studien überprüft.

Was dabei herauskommt zeigten die ersten systematisch vergleichenden Studien von offenen und minimal-invasiven Operationen zur Entfernung der Gallenblase:

• Die Operationszeit war für die Laparoskopie signifikant länger und auch aufwändiger und
• die Krankenhausverweildauer wie die Rekonvaleszenzzeit unterschieden sich nicht.

Dieses Beispiel für die Einführung einer Neuerung, ohne dass deren zusätzlicher Nutzen nachgewiesen wird, ist nach der Darstellung von Seiler et al. auch kein Einzelfall. So sollten nicht "Ansichten eines Chirurgen" darüber entscheiden, wann ein bösartiges Magengeschwür sinnvoll und zum Vorteil für den Patienten entfernt werden muss oder ob ein bestimmtes Prostatakarzinom operativ entfernt wird oder kontrolliert abgewartet wird (die Gesamtüberlebenszeiten unterscheiden sich bei beiden Vorgehensweisen im übrigen nicht, sehr wohl aber die konkrete Lebensqualität), sondern kontrollierte Studien, die sich auch noch an den Präferenzen der Patienten orientieren müssen.

Angesichts der ängstigenden und systemsprengenden Kostenprognosen für den medizinischen Fortschritts ist der Forderung der Heidelberger Forscher unbedingt zuzustimmen, dass "neue Verfahren, wie beispielsweise die roboterassistierte Chirurgie, endoskopische Antirefluxverfahren oder interventionelle radiologische Techniken,...vor der breiten Anwendung in RCT getestet werden" sollten.

Bernard Braun, 5.1.2007