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Gesundheitssystem
Finanzierung und Kosten, Lohnnebenkosten


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"Sich um das Wesentliche kümmern können": Bürokratieabbau im Gesundheitssystem "Ja", aber wo, wie viel und was?

Artikel 2241 Im deutschen Gesundheitssystem nimmt in den letzten Jahren nicht nur z.B. der Umfang des gesamten Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) und einzelner Paragraphen scheinbar unaufhaltsam zu, sondern als Folge und Lösungsversuch dieser für normale Versicherte wachsenden Unübersichtlichkeit auch die Anzahl gedruckter und digitalisierter Navigatoren, Case-, Care-, Versorgungs-, Beratungs- oder Entlassungsmanager und Anzahl wie Umfang der Dokumentationspflichten für Leistungserbringer.

Vor allem niedergelassene und stationär tätige Ärzte, Krankenschwestern oder Angehörige ambulanter Pflegedienste klagen seit geraumer Zeit über den tatsächlich oder vermeintlich ständig steigenden Anteil von patienten- oder behandlungsfernen administrativen Tätigkeiten.

Wie viel genau an Zeit und Geld von Leistungserbringern und Versicherten oder Patienten aufgebracht werden muss, um bestimmte Leistungen zu erhalten, stützte sich bisher vor allem auf diese Klagen oder war rein spekulativ.

Der im Auftrag der Bundesregierung vom Normenkontrollrat erstellte und am 20. März 2013 veröffentlichte Bericht "Erfüllungsaufwand im Bereich Pflege - Antragsverfahren auf gesetzliche Leistungen für Menschen, die pflegebedürftig oder chronisch krank sind", stellt für einige Leistungen erstmals Transparenz her oder verbessert sie. Der Bericht liefert z.B. Antworten auf Fragen wie Wie viel Zeit und Kosten beansprucht die Dokumentation der Pflege? Wie viele Anträge auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege werden jährlich gestellt? Welche Kosten werden durch die Antragsverfahren verursacht? Welche Zeit müssen Versicherte für den Erhalt dieser Leistungen aufbringen?

Die wichtigsten Erkenntnisse in Kürze:

• Der so genannte Erfüllungsaufwand liegt für die AntragstellerInnen von 10 Rehabilitations-, Hilfsmittel- und Pflegeleistungen zwischen drei Minuten für Anträge zu Leistungen der medizinischen Rehabilitation und 435 Minuten für Anträge für die Hilfe zur Pflege. Für einen Antrag zur Befreiung von Zuzahlungen benötigt allein der GKV-Versicherte rund 53 Minuten.
• Die Antragsverfahren für diese 10 Leistungen kosten die Krankenkassen, andere Sozialleistungsträger und die Wirtschaftsbetriebe jährlich rund 449 Millionen Euro.
• Die Dokumentation ambulanter und stationärer Pflege kostet die entsprechenden Wirtschaftsbetriebe jährlich rund 2,7 Mrd. Euro. Mehr als zwei Drittel dieser Kosten entfallen dabei auf das Ausfüllen von Leistungsnachweisen z.B. für jeden besuchten Pflegebedürftigen und jede einzeln erbrachte Leistung. Die Feststellungen von Pflegestufen verursachen 110 Mio. Euro. Die Kosten für die Antragsverfahren im Bereich der häuslichen Krankenpflege betragen 54 Mio. Euro.
• Alleine das Ausfüllen der Leistungsnachweise als Kernstück der Pflegedokumentation kostet jährlich rund 1,9 Mrd. Euro und wird jährlich rund 408 Mio. mal durchgeführt.
• Das bei jeder Neuaufnahme einer pflegebedürftigen Person notwendige Einrichten der Pflegedokumentation verursacht in den Pflegeeinrichtungen einmalig zwischen 158 Minuten in der Tagespflege und 386 Minuten in stationären Pflegeeinrichtungen. In jedem zweiten Fall entsteht zusätzlich ein Aufwand von 17 Minuten (entspricht rund 1,5 Millionen Euro) für Ärzte, die Informationen zwecks Erstellung der Pflegedokumentation an die Pflegeeinrichtung weitergeben. Daneben müssen Bürgerinnen und Bürger, zumeist deren Angehörige, im Mittel eine Stunde für die Zulieferung von notwendigen Informationen aufbringen.
• Der Gesamtaufwand für die Bearbeitung eines Antrags auf Feststellung der Pflegestufe durch eine gesetzliche Pflegekasse beträgt rund 66 Minuten.
• Wenn die Begutachtung eines Pflegeantrags beim MDK durch internes Personal erfolgt, fallen im Mittel neben den rund 30 Minuten MDK-Sachbearbeitung noch 77,5 Minuten für die Gutachterin bzw. den Gutachter für die Begutachtung an.
• Legt ein Versicherter Widerspruch gegen einen Pflegebescheid ein, braucht er für die Erstellung insgesamt 170 Minuten, d.h. mehr Zeit als für die erstmalige Antragstellung. Und auch der Zeitaufwand für den Umgang mit einem Widerspruch liegt mit rund 102 Minuten pro Fall über dem Aufwand für die Erstantragsstellung.

Der Bericht enthält bereits eine Mischung von neuen oder meist jahrzehntealten Verbesserungsvorschlägen für die verständliche Gestaltung von Antragsformularen (dies steht z.B. bereits im § 17 Abs. 1 Satz 3 des Ersten Buch des SGB aus dem Jahr 1975), den kostenfreien Zugang zu Beratungsstellen der Sozialversicherungsträger (bisher noch oft teure 0180er Nummern) oder die Entfristung von Pflegestufen-Einstufungen.

Ob es zu der erhofften Entbürokratisierung und Verwaltungsvereinfachung kommt oder trotz Bürokratieabbau-Rhetorik lediglich zum Umfüllen des alten Weines in neue Schläuche, wird abzuwarten sein. Allein die Lektüre der für mögliche weitere Vereinfachungen zuständigen und zu moderierenden institutionellen Akteure lässt zumindest die Hoffnung auf schnelle Lösungen schrumpfen. Auf "Vorschlag der Krankenkassen" soll eine "gemeinsame Arbeitsgruppe", der "Beteiligte, BMG/BMAS, Statistisches Bundesamt, OBF" (Ombudsfrau zur Entbürokratisierung der Pflege) angehören, diese weiteren Arbeiten unter Leitung des Statistischen Bundesamtes als "neutralem Moderator" übernehmen. Einige dieser Akteure tragen seit Jahrzehnten durch ihr Verhalten eher zum Vertrauensschwund zwischen den Hauptakteuren im Gesundheitswesen, dem Grund-Misstrauen gegen Versicherte und Patienten, zur Zunahme des Verwaltungsaufwandes, der Notwendigkeit aufwändiger Beratung und der organisierten Nichtverständigung auf gemeinsam verpflichtende Lösungen bei.

Aufpassen sollten aber alle Interessierten vor allem darauf, nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten und z.B. bei anhaltender normativer und regulatorischer Unübersichtlichkeit oder Undurchsichtigkeit das Zusammenstreichen von Beratungsaufwand oder Weiterbildungsangeboten für Sachbearbeiter als Verwaltungsvereinfachung zu verkaufen.

Der Originalbericht Erfüllungsaufwand im Bereich…Pflege. Antragsverfahren auf gesetzliche Leistungen für Menschen, die pflegebedürftig oder chronisch krank sind aus der "Projektreihe Bestimmung des bürokratischen Aufwands und Ansätze zur Entlastung" von 239 Seiten wird von der Bundesregierung und dem Statistischem Bundesamt gemeinsam herausgegeben und ist kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 21.3.13