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Patienten
Verhaltenssteuerung (Arzt, Patient), Zuzahlungen, Praxisgebühr
Anwendungsbeobachtungen erhöhen die Arzneimittelausgaben (29.6.20)
Senken langjährige Raucher ihr Herz-/Kreislauferkrankungsrisiko durch Nichtmehrrauchen? Jein, selbst nach 15 Jahren nicht völlig! (26.8.19)
Verbessern finanzielle Anreize die Qualität gesundheitlicher Leistungen? Nein, und auch nicht wenn sie länger einwirken! (8.1.18)
Entgegen gesundheitsökonomischen Erwartungen: Selbstbehalte reduzieren nicht die Inanspruchnahme wertloser Gesundheitsleistungen (10.12.17)
Handhygiene in Kliniken: "probably slightly reduces infection…and colonisation rates" aber "based moderate certainty of evidence" (13.9.17)
Fortbildungspflicht für Ärzte: Umstritten, aber wirksam (28.4.17)
Handy-Textbotschaften verbessern die Therapietreue bei chronisch kranken Personen: Ja, aber mit zahlreichen Einschränkungen. (4.4.16)
Je nach Thema bewirken auch Arzt-Ratschläge nichts: Das Beispiel Impfen. (1.6.15)
Therapietreue und Wirkung bei Medicare-PatientInnen mit Statin-Generika signifikant besser als mit Originalpräparaten (2.11.14)
Je später der Tag desto mehr Antibiotikaverordnungen gegen Atemwegsinfekten oder "mach lieber mal 'ne Pause". (7.10.14)
"Mindestens 2x täglich", aber wie am besten ist unklar oder evidenzbasierte Zähneputztechnik Fehlanzeige! (13.8.14)
Ist der "brain drain" von Ärzten aus Ländern der Dritten Welt durch Einkommensverbesserungen zu stoppen? Das Beispiel Ghana. (7.8.14)
Unterschiedliche Prioritätensetzung erschwert gemeinsame Entscheidungsfindung: Das Beispiel Empfängnisverhütung. (12.6.14)
Keine Zuzahlungen für die Arzneimittelbehandlung von Herzinfarkt-Patienten verbessert Therapietreue und reduziert Ungleichheit (5.6.14)
… und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker - nur bekommen Sie die richtige Antwort und befolgen Ärzte wirklich Alarmhinweise? (13.11.13)
Wie kommt es zu mangelnder Therapietreue? Ergebnisse einer qualitativen Studie mit an rheumatoider Arthritis erkrankten Menschen (11.8.13)
Beispiel Rückenschmerzen: Behandlungswirklichkeit verschlechtert sich in den USA trotz "gut etablierter"Leitlinien (31.7.13)
"Renaissance der Allgemeinmedizin"? Ja, aber nicht nach dem Motto "weiter wie bisher" und "mehr Geld ins System"! (11.3.13)
Wie lange müssen für politische Schlussfolgerungen noch positive Wirkungen der Reduktion von Zuzahlungen nachgewiesen werden? Oft! (4.12.12)
Einblicke in den Zusammenhang von finanziellen Anreizen und der Anzahl wie Art von Diagnosen bei schwedischen Ärzten (26.11.12)
Patient, Konsument, Teilnehmer...!? Personen, die psychiatrische Leistungen nutzen, bevorzugen die Bezeichnung Patient oder Klient (8.8.12)
Zwei RCT-Studien zeigen keine positiven Wirkungen zweier Interventionen bei Typ 1 und Typ 2-DiabetikerInnen nach 3 und 1 Jahr! (12.5.12)
Was hilft, das Gesundheitsverhalten von Diabetikern zu verbessern? Finanzielle Anreize: Nein! Persönliche Vorbilder: Ja! (6.5.12)
Zuzahlungen in der GKV 2005-2010: Jährlich rd. 5 Mrd. Euro, kaum erwünschte aber durchaus unerwünschte Steuerungswirkungen (26.3.12)
Amerikanische Kardiologen: Geld beeinflusst die Indikationsstellung für Belastungsuntersuchungen (22.11.11)
Interventionen an den Herzkranzgefäßen - weniger ist mehr, wird aber nicht umgesetzt (20.7.11)
Neues aus Oregon: Was passiert, wenn arme Menschen ohne Krankenversicherungsschutz ihn per Lotterie doch erhalten? (9.7.11)
Ärzte mit Erfahrung in wissenschaftlichen Studien behandeln nicht schlechter als ihre Kollegen ohne! Ob aber besser ist ungewiss. (16.4.11)
"Optimale" feste Selbstbeteiligungenn der ambulanten Versorgung - Nicht der Stein der Weisen! (13.4.11)
Streichung oder Senkung von Medikamenten-Zuzahlungen verbessern Therapietreue und damit Behandlungserfolg und Wirtschaftlichkeit. (22.11.10)
Therapietreue - Ansatz zu verbesserter Gesundheit und zur Kostendämpfung (15.8.10)
Bremer Wissenschaftler fordern soziale Zuzahlungen nur für weniger kosteneffiziente Leistungen (5.6.10)
Studie zu Risiken und Nebenwirkungen von Zuzahlungen in Deutschland (28.4.10)
Elektronisches Erinnerungssystem für Ärzte: Teure Versuch-und-Irrtum-Übung oder nützliche Vehaltenshilfe? (24.3.10)
Zuzahlungen und Praxisgebühr führen zur eingeschränkten Inanspruchnahme auch medizinisch notwendiger Leistungen bei Überschuldeten (2.3.10)
"Zauberlehrling oder Pontius Pilatus": Keine Rollen für die Protagonisten der Arztkontaktgebühr! (29.1.10)
Lieber krank feiern als krank arbeiten oder umgekehrt!? Was fördert oder hemmt die beiden Umgangsweisen mit Krankheit? (22.1.10)
Evidente, situations- und patientenbezogene "point-of-care"-Empfehlungen für Hausärzte verbessern Sekundärprävention nicht. (17.1.10)
Womit können Therapietreue und Wirtschaftlichkeit verbessert werden?: "Weniger Zuzahlungen verbessern die Therapietreue!" (8.11.09)
Antibiotika-Niedrigverbrauchsregion Ostdeutschland: Woran liegt es? (14.6.09)
Selbstkontrolle des Blutzuckers und Selbstmanagement der Ergebnisse oder HbA1c-Messung - Schwarzer Tag für Teststreifenhersteller? (13.4.09)
Finanzlasten durch medizinische Behandlung, schwindendes Patientenvertrauen und schlechtere Erwartungen zur Behandlungsqualitität (16.3.09)
§ 73 Abs. 8 SGB V: Umfassende Arzneimittel-Informationspflichten von Kassenärztlichen Vereinigungen und GKV gegenüber Ärzten. (27.1.09)
Forschung von 25 Jahren: Die mangelnde klinische Gleichwertigkeit von Generika und Original ist oft ein gut gepflegtes Phantom. (3.12.08)
Höhere Zuzahlungen senken Einnahme essenzieller Medikamente vor allem bei sozial Schwachen (28.11.08)
"Trust in Medical Researcher": Warum auch randomisierte Studien Probleme mit dem Einschluss von Minderheiten-Patienten haben? (22.11.08)
Engagement von US-Ärzten, Medicaid-Patienten zu versorgen, hängt stark davon ab, wie hoch und schnell erhältlich das Honorar ist! (19.11.08)
Die Praxisgebühr beeinträchtigt Verhaltensspielräume chronisch Erkrankter im Gesundheitssystem - aber nur bei niedrigem Einkommen (15.11.08)
Keine oder nur geringe Wirkung von Warnungen vor der Verschreibung gefährlicher Arzneimittel für Ältere und und Jugendliche (27.8.2008)
Krankenversicherungs- Verträge mit hoher Selbstbeteiligung bewirken kein größeres Kostenbewusstsein, wohl aber Gesundheitsrisiken (9.7.2008)
Bundesgerichthof zu Grenzen der Freiheit der ärztlichen Befunderhebung und der Würdigung von Fakten in medizinischen "Gut"achten (20.6.2008)
Praxisgebühr - und kein bisschen weise (7.6.2008)
Effizienzsteigerung durch Arzneimittelzuzahlungen? Ein gängiger Mythos geht baden (1.6.2008)
Wie oft und warum verpassen Herzinfarktpatienten die "goldene Stunde" für den Beginn der Krankenhausbehandlung? (11.5.2008)
Wissen=Handeln? Sehr gemischtes, zum Teil paradoxes oder gegenläufiges Bild der Wirkungen von öffentlichen Qualitätsvergleichen (7.5.2008)
Zuzahlungen im Krankheitsfall: Versorgungsforschung widerlegt zunehmend kostendämpfendes Potenzial (14.4.2008)
Wasserspender versus Patienteninteressen und Vertrauensverhältnis Arzt-Patient - Sind Werbegeschenke an Ärzte unlauter? (9.2.2008)
Gefahr von Unter- und Fehlversorgung bei langjähriger Therapienotwendigkeit: Das Beispiel Tamoxifen bei Brustkrebs. (25.12.2007)
Wie ausschließlich können und dürfen sich Ärzte im Bonus-,Malus- oder Rabatt-Zeitalter noch um das Wohl der Patienten kümmern? (3.12.2007)
Was Sie schon immer über Zuzahlungen wissen wollten ... (5.11.2007)
Mehr Kaiserschnitt-Geburten, weniger Sonntagskinder - aufgrund ökonomischer Klinik-Kalküls (12.10.2007)
Welcher Arzt-Typ verordnet unangemessen viel Antibiotika gegen virale und bakterielle Infektionen? - Hinweise aus Kanada (9.10.2007)
KBV will Qualitätsbewertungen niedergelassener Ärzte auch zur Neubestimmung der Honorare nutzen (7.10.2007)
Aktivierung chronisch kranker Menschen zu gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen möglich: Mit und ohne Programm!? (9.9.2007)
Von der Einfachheit des medizinisch-technischen Fortschritts - Wie verlängere ich die Dauer des Stillens? (2.9.2007)
Big Pharma's Data Collectors versus Maine, Vermont and New Hampshire - Wie viel dürfen Pharmafirmen über Ärzte wissen? (1.9.2007)
"Health literacy", wer hat sie, was ist das und wie bekommt man sie? (12.8.2007)
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"Wehe, Du hast nur eine Krankheit!" oder: Wer viele Krankheiten hat, bekommt eine qualitativ bessere Behandlung (6.7.2007)
Medikamentenzuzahlungen: Weniger Ausgaben für Arzneimittel, aber mehr Kosten für Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte (4.7.2007)
Höhere Medikamenten-Zuzahlungen: Sinkende Therapietreue und mehr krankheitsbedingte Fehlzeiten (29.6.2007)
Unerwünschte Wirkungen "geringfügiger" Medikamentenzuzahlungen (6.5.2007)
Wie viele Ärzte sind an der Behandlung eines Patienten beteiligt oder Grenzen von P4P-Programmen?! (20.4.2007)
Erkennung und Behandlung von Schmerzen hängt entscheidend von wirksamer Arzt-Patienten-Kommunikation ab (19.4.2007)
Existenz und Hartnäckigkeit medizin-ärztlicher "Risikomentalitäten" als Ursache von Über- und Fehlversorgung am Beispiel der Antibiotika (24.1.2007)
Alte und neueste Ergebnisse der Forschung über erwünschte und unerwünschte Wirkungen von Zuzahlungen im Gesundheitsbereich (28.11.2006)
Ohne Härtefallregelungen im Arzneimittelbereich keine bedarfsgerechte Versorgung möglich (12.11.2006)
Anreize zur Verhaltenssteuerung im Gesundheitswesen (7.11.2006)
Der homo oeconomicus im Gesundheitswesen (5.11.2006)
Früherkennungsuntersuchungen: Nicht-Teilnahme soll finanziell bestraft werden (30.10.2006)
Kaiserschnitt-Geburt: Kein Wunsch von Frauen (25.10.2006)
Der unerschütterliche Glaube an Kostendämpfung durch Zuzahlungen (28.8.2006)
Exportschlager Praxisgebühr? (15.5.2006)
Zuzahlungen im Gesundheitswesen - ein unerschütterbarer Mythos (23.11.2005)
Scheitern eines scheinbaren Patentrezeptes: die Patientenquittung (10.10.2005)
Immer weniger Sonntagskinder, immer mehr Wunsch-Kaiserschnitte (7.10.2005)
Hormontherapie: Neuere Forschungserkenntnisse gelangen kaum in Arztpraxen (24.7.2005)
Gesundheitsreform: Die Bürger sparen auch an ihrer Gesundheit (6.7.2005)
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Verhaltenssteuerung (Arzt, Patient), Zuzahlungen, Praxisgebühr
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Verhaltenssteuerung (Arzt, Patient), Zuzahlungen, Praxisgebühr |
Bremer Wissenschaftler fordern soziale Zuzahlungen nur für weniger kosteneffiziente Leistungen
In einem Beitrag für die Zeitschrift für Sozialreform (Nr. 55 (1), S. 71-90) aus dem Jahr 2009 entwickeln Ralf Götze und Tina Salomon vom Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) der Universität Bremen die Idee einer einkommens- und morbiditätsadjustierten Selbstbeteiligung. Das klingt überzeugend, und dank des knackigen Namens fair fee auch verlockend.
Zunächst zeichnen die AutorInnen die historischen Entwicklungen der Selbstbeteiligungen im deutschen Gesundheitswesen und ihre Rolle in Rahmen der Kostendämpfungspolitik nach, bevor sie den immanenten Konflikt zwischen Effizienz auf Grund der unterstellten Steuerungseffekte und sozialer Gerechtigkeit sowie erwünschte und unerwünschte Wirkungen diskutieren. Unter Verweis auf das in § 3 SGB V verankerte Solidarprinzip, wonach sich die Höhe der Finanzierungsbeiträge nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der BürgerInnen richten sollen, leiten die AutorInnen den Wunsch ab, Zuzahlungen mögen nicht die ärmeren und mit schlechterer Gesundheit geschlagenen Menschen benachteiligen. Dies geschähe aber zurzeit aufgrund aller geltenden Zuzahlungsregelungen, die eine regressive Wirkung entfalteten und insbesondere chronische Kranke stark belasteten. Die AutorInnen fordern zunächst das Verbot aller schädlichen und unnützen Gesundheitsleistungen und den Ausschluss von "Güter(n) und Leistungen ohne erkennbaren Nutzen" aus dem Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Ihr Vorschlag bezieht sich auf "das Segment der als medizinisch sinnvoll bewerteten Therapien, die sich für eine kollektive (Teil-)Finanzierung qualifizieren". Innerhalb dieser Gruppe sollen eine Güterabwägung nach individuellen Kosten-Nutzen-Erwägungen und die Zuordnung in einen Basis- und einen Wahlkatalog erfolgen mit unterschiedlichen Zuzahlungsmodalitäten: "Im Basisleistungskatalog hat die Selbstbeteiligung lediglich einen pauschalen Charakter, um einen statischen Moral Hazard in Form einer ungebremsten Mengenausweitung zu verhindern. Im Wahlleistungssegment nimmt sie dagegen zusätzlich den Charakter eines Indemnitätstarifs an. Durch die Beteiligung an den Mehrkosten einer teureren Therapieform wird der Patient dazu angehalten, seinen dynamischen Moral Hazard einzuschränken."
Vor allem im Wahlleistungsbereich würden die unterschiedlichen Einkommens- und Morbiditätsbedingungen zu unerwünschten Verzerrungen führen. Um dies zu verhindern, wäre eine Adjustierung der Selbstbeteiligungen nach Einkommen und Morbidität erforderlich - nach der schlichten Formel Zk = Aym (Zl + Zw) = Aym (Zl + (Kw - Kb)). Zwischen Finanzierern und Leistungserbringern ließe sich eine solche einkommens- und morbiditätsbezogene kombinierte Zuzahlung dank der elektronischen Gesundheitskarte und mit einer zertifizierten Anbietersoftware mühelos für jede Gesundheitsleistung ermitteln, mutmaßen die AutorInnen und liefern eine Matrix für die Berechnung der anfallenden Zuzahlungen mit. Insgesamt könne man so Steuerungswirkungen bei BezieherInnen hoher Einkommen verstärken und gleichzeitig die unerwünschten Wirkungen bei den unteren Einkommensgruppen abschwächen.
Diese Idee klingt auf den ersten Blick gut. Bei genauerem Lesen stellen sich aber mehr Fragen als die AutorInnen Antworten zu liefern in der Lage sind. Sehr praxisnah wirkt die Forderung nach "fair fees "nicht, zur Umsetzung ist eine erhebliche und zurzeit schwerlich absehbare IT-Nachrüstung des deutschen Gesundheitswesens erforderlich - einschließlich der wünschenswerten Vertraulichkeitsgarantien aller Daten. Und die Frage, wie sich ihr Vorschlag denn in die allgegenwärtige Forderung nach "Bürokratieabbau" einpassen soll, bleiben sie ebenfalls schuldig. Auffällig bei dem aufwändig entwickelten Vorschlag für gerechtere Zuzahlungen ist vor allem die Unterteilung nach unterschiedlichen Graden von Kosteneffizienz. Abgesehen davon, dass dies keineswegs so leicht zu ermitteln ist und unvermeidlich einen gewissen Grad an Willkür mit sich bringt, gestaltet sich das Differenzieren zwischen Basis- und Wahlleistungen ja bekanntlich in der Praxis als überaus schwierig. Unverständlich bleibt aber vor allem, warum gerade für Gesundheitsleistungen mit hohem Nutzen im Verhältnis zu den Kosten weiterhin pauschale und damit regressive Eigenbeteiligungen gelten sollten, und weshalb sich die soziale Nachjustierung auf Wahlleistungen mit schlechterer Kosten-Nutzen-Relation beschränken möge. Sich darüber derart ausgefeilte Gedanken zu machen erscheint nur dann sinnvoll, wenn man den Wahlleistungen eine ausgesprochen große Bedeutung zumisst. Das mag den Verfechtern des wachsenden - zweiten - Gesundheitsmarktes schmecken, erscheint aber zunächst nicht zwingend sinnvoll.
Nicht so offen, wie es die AutorInnen darstellen, ist auch "die Frage, ob durch die Zuzahlungen in der aktuell geltenden Praxis mehr als vereinzelte Individuen von der eigentlich notwendigen Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen abgeschreckt werden". Auch wenn die Auswirkungen der Praxisgebühr - abgesehen von den überschuldeten Haushalten, wie bereits im Forum Gesundheitspolitik in dem Artikel Zuzahlungen und Praxisgebühr führen zur eingeschränkten Inanspruchnahme auch medizinisch notwendiger Leistungen bei Überschuldeten nachzulesen war - bisher uneindeutig sind, sprechen Erfahrungen mit unterschiedlichen Zuzahlungsformen für verschiedene Gesundheitsleistungen in anderen Ländern eine sehr deutliche Sprache.
Erheblich unklarer ist indes die von den AutorInnen gar nicht gestellte Frage, ob und in welchem Maße nachfrageseitiges moral hazard - und nur diesem kann man durch Zuzahlungen effektiv begegnen - überhaupt im Gesundheitswesen relevant ist. Denn wer den engen Rahmen ökonomischer Modellrechnungen verlässt und klinisch-epidemiologische Erkenntnisse sowie solche aus der Versorgungsforschung in die Betrachtung von Zuzahlungswirkungen und moral hazard einbezieht, stößt auf unübersehbare Zweifel an der Vorstellung von sinnvoller Steuerung. Bisher ist nicht erwiesen, dass Zuzahlungen mehr Nutzen als Schaden anrichten. Vielmehr gibt es eine Vielzahl empirischer Hinweise - einschließlich der RAND-Studie -, die eher das Gegenteil nahe legen. Einer grundsätzlichen Fehlsteuerung können auch die ausgeklügelsten Zuzahlungsformen nicht entgegenwirken.
Dass die AutorInnen wesentliche Erkenntnisse aus der internationalen Zuzahlungsforschung nicht hinreichend zur Kenntnis genommen haben, zeigt sich an mehreren Stellen ihres Papers. So ist die Einschätzung bemerkenswert, die bis heute umfangreichste Studie zur Steuerungswirkung von Zuzahlungen sei das RAND Health Insurance Experiment. Mag diese Aussage für streng experimentelle Untersuchungen zutreffen, liegen doch mittlerweile etliche quasi-experimentelle Analysen mit weitaus mehr als den 5,500 Versuchspersonen des RAND-Experiments vor. Um an den wohlgemerkt ersten bzw. zunächst schlichten Schlussfolgerungen dieser Studie festhalten zu können, die bis heute maßgeblich den Glauben an sinnvoll steuernde Wirkungen von Zuzahlungen belegt, gehen die AutorInnen gar nicht auf den mittlerweile umfangreich diskutierten RAND-Irrtum ein, den sogar einige Studienautoren wie Joseph Newhouse im Nachhinein eingeräumt haben. Eine systematische Analyse der Beschränkungen, die zu großer Vorsicht bei der Verallgemeinerung der RAND-Befunde rät, liefern Raise Deber, Evely Forget und Leslie Roos in Ihrem Artikel Medical savings accounts in a universal system: wishful thinking meets evidence, der Anfang 2004 in Health Policy 70 (1) erschien Abstract. Bei den üblichen argumentativen Rückgriffen auf die RAND-Studie kommen die systematischen Unzulänglichkeiten regelmäßig zu kurz oder gar nicht zur Sprache.
Und noch ein Satz in der Abhandlung von Götze und Salomon lässt aufhorchen: "Zugrunde liegt beiden Ansätzen die Annahme, dass der Arztbesuch und die weiteren in Anspruch genommenen medizinischen Leistungen und Güter selbst nicht ausreichend unangenehm sind, um das Individuum dazu zu bewegen, seinen Konsum von Gesundheitsleistungen auf das zum Erhalt der Gesundheit notwendige Maß zu beschränken." Solche Aussagen können nur Menschen treffen, die bisher offenbar von schwerwiegenden Gesundheitsproblemen verschont geblieben sind und den "reichlich herben Genuss einer Bypass-Operation oder Chemo-Therapie" nicht kennen lernen durften, wie es Hartmut Reiners auf Seite 16 in seinem Aufsatz "Homo oeconomicus" so trefflich formuliert. Vor allem aber gehen die AutorInnen davon aus, es gäbe ein "zum Erhalt der Gesundheit notwendige(s) Maß" an Gesundheitsleistungen. Außerhalb universitärer Elfenbeintürme erweisen die klinische wie die Versorgungsforschung die unterstellte, der Zuzahlungsideologie grundsätzlich zu Grunde liegende klare Trennlinie in das Reich der Phantasie.
Die Zeitschrift für Sozialreform bietet keine Online-Volltexte im Internet ist nur das Abstract zu lesen. Allerdings hat das Pharma-Unternehmen Janssen-Cilag das Paper in seinem Sammelband Zukunftsideen für das Gesundheitssystem (Beiträge aus dem Hochschulwettbewerb "Perspektive 2020 - Gesundheit als Chance") nachgedruckt. Über diesen Umweg ist sich das gesamte Paper Fair Fee: Einkommens- und morbiditätsadjustierte Zuzahlungen für Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland von Götze und Salomon auch online zugänglich. Hier können Sie den Sammelband der Janssen-Cilag GmbH herunterladen, der besagte Beitrag findet sich auf den Seiten 109ff.
Jens Holst, 5.6.10