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Patienten
Versorgungsforschung: Übergreifende Studien


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Wie häufig ist die Überversorgung mit nutzlosen oder schädlichen Leistungen und wie viel kostet das? Antworten aus WA und VA (USA)

Artikel 2605 Über- und Fehlversorgung mit gesundheitlich nicht notwendigen, im besten Fall nutzlosen, im schlimmsten Fall aber für die PatientInnen schädlichen diagnostischen Tests und therapeutischen Interventionen ist eines der international wie national seit vielen Jahren beschriebenen (Haupt-)Probleme der Gesundheitssysteme entwickelter Länder.
Bei aller Einigkeit wird die Anzahl der davon Betroffenen und der finanzielle Umfang der Überversorgung aber unterschiedlich bewertet, wenn dazu überhaupt halbwegs präzise Zahlen genannt werden.

Hier etwas Abhilfe zu schaffen, war das Anliegen einer Untersuchung der Behandlungsdaten von rund 2,4 Millionen bei privaten Krankenversicherungen versicherten Personen im US-Bundesstaat Washington im Zeitraum von Juli 2015 bis Juni 2016. Für diese Personen wurde mittels des Analyseinstruments "Health Waste Calculator" untersucht, wie häufig 47 diagnostische und therapeutische Leistungen erbracht wurden, die im Rahmen der "choosing wisely"-Initiative zahlreicher us-amerikanischen medizinischen Fachgesellschaften als potenziell unnütz oder schädlich bewertet wurden. Die Liste der Leistungen reicht von der wahllosen Verordnung von Antibiotika bei komplikationslosen Infektionen der oberen Atemwege über die Erstellung von Elektrokardiogrammen (EKG) bei symptomlosen und "low risk"-Patienten bis zu arthroskopischen Operationen zur Behandlung von Knien mit Osteoarthritis (die gesamte Liste findet sich im Anhang der hier vorgestellten Studie). Auf Basis der gesamten Behandlungsdaten wurde für jede dieser Leistungen bewertet, ob sie nützlich oder klinisch angemessen, wahrscheinlich verschwenderisch oder unangemessen oder sehr wahrscheinlich nicht notwendig bzw. Verschwendung war.

Die wichtigsten Ergebnisse lauten:

• 1,298 Millionen Personen erhielten eine oder mehrere der 47 Leistungen. 46,4% von ihnen erhielten Leistungen, die eindeutig unangemessen waren. Bei weiteren 1,5% waren sie wahrscheinlich unangemessen.
• Von den 758 Millionen US-Dollar, die sämtliche 47 Leistungen kosteten, wurden 32,9% für eindeutig unangemessene Leistungen ausgegeben.
• 11 der 47 Leistungen wurden als Schlüsselleistungen der Überversorgung bewertet. Darunter waren zu häufige Screenings auf Gebärmutterhalskrebs und alle bildgebenden Untersuchungen bei komplikationslosen Kopfschmerzen. Diese 11 Leistungen trugen zu 93% aller wahrscheinlich oder gesichert geringwertigen oder nutzlosen Leistungen bei. 578.503, also rund ein Viertel der 2,4 Millionen in der Studie betrachteten Personen erhielten mindestens eine dieser 11 Leistungen.
• So wurden ungefähr drei von vier jährlichen Screeninguntersuchungen auf Gebärmutterhalskrebs bei Frauen durchgeführt, die bereits vorher angemessen untersucht worden waren.
• Rund 85% aller Labortests, gesunde Patienten auf geringfügige und risikofreien Operationen vorzubereiten waren nicht notwendig.
• Bei 35% der 103.332 Personen, die screeningmäßig auf einen Vitamin D-Mangel untersucht wurden, war diese Untersuchung mangels Indikation völlig nutzlos und reine Verschwendung von 12 Millionen US-Dollar.

Weitere Beispiele für Überversorgung, aber auch Hinweise auf Limitationen der Daten und Vorschläge für das weitere Vorgehen finden sich in dem 27 Seiten umfassenden und im Februar 2018 veröffentlichten Bericht First, Do No Harm. Calculating Health Care Waste in Washington State erstellt von der "Washington Health Alliance" und der "Choosing Wisely initiative in Washington state", der komplett kostenlos erhältlich ist.

Für das weitere Vorgehen schlagen die VerfasserInnen der Studie u.a. vor:

• "The concepts of "choosing wisely" and shared decision-making must become the bedrock of provider-patient communications.
• We need to keep our collective "foot on the gas" to transition from paying for volume to paying for value in health care.
• Value-based provider contracts must include measures of overuse, and not just measures of access and underuse of evidence-based care."

Wer jetzt vielleicht meint, diese Verhältnisse seien regionaler Art oder in Washington State gäbe es eben viele "schwarze Schafe", muss diesen Gedanken zumindest für die USA aufgeben.

Beim einem vergleichbaren Einsatz des "Health Waste Calculator" bei 5,5 Millionen bei privaten Krankenversicherungen aber auch bei den öffentlichen Versicherungen Medicare und Medicaid versicherten Personen im US-Bundesstaat zeigte sich, dass 2014 1,7 Millionen Personen nutzlose Leistungen erhielten. Die Überversorgungs- oder Verschwendungsrate betrug 31%. Der Aufsatz Low-Cost, High-Volume Health Services Contribute The Most To Unnecessary Health Spending von John N. Mafi et al. ist im Oktober 2017 in der Zeitschrift "Health Affairs" (10: 1701-1704) erschienen. Ein Abstract ist kostenlos erhältlich.

Ob die Überversorgungsrate in Deutschland gleich hoch ist oder derartiges im "besten Gesundheitssystem der Welt" nicht existiert, lässt sich abschließend erst nach inhaltlich vergleichbaren Untersuchungen mit Abrechnungsdaten der GKV und der PKV beantworten. Die hohen Raten von sofortigen bildgebenden Untersuchungen bei Rückenschmerzen oder die immer noch große Anzahl von Antibiotikaverordnungen bei Atemwegsinfektionen sollten aber Anlass sein genauso intensiv hinzuschauen wie in Washington und Virginia.

Zum Schluss: Wie gesamte Überversorgungsraten aussehen, wenn also nicht nur die 47 Leistungen, sondern alle gesundheitsbezogen erbrachten Leistungen berücksichtigt würden, muss erst in umfassenderen Untersuchungen ermittelt werden.

Bernard Braun, 4.2.18