Home | Patienten | Gesundheitssystem | International | GKV | Prävention | Epidemiologie | Websites | Meilensteine | Impressum

Sitemap erstellen RSS-Feed

RSS-Feed
abonnieren


Weitere Artikel aus der Rubrik
Patienten
Versorgungsforschung: Diabetes, Bluthochdruck


Weniger ist mehr: Das Beispiel täglich-mehrfache Blutzuckermessung durch nicht insulinpflichtige DiabetespatientInnen. (15.12.18)
Über- und Fehlbehandlung von älteren Personen: Blutdrucksenkung trotz normalem oder niedrigem Blutdruck (6.7.16)
Profitieren Ehemänner gesundheitlich von Ehekrach? Ja, bei Diabetes, aber Ehefrauen nicht! (27.5.16)
"Diabetes wird zum globalen Problem" - ja, aber regional extrem unterschiedlich (8.4.16)
"Sugar shock": Das zehnjährige Ab und gewaltige Auf der Preise für orale Antidiabetika und Insulin in den USA (6.4.16)
"Je niedriger desto besser" gilt zumindest für den Blutdruck nicht uneingeschränkt. (31.7.14)
Vorsicht Unstatistik: Verringert Mittelmeer-Diät das Diabetesrisiko um 30% oder 1,9 Prozentpunkte? (3.2.14)
Verlust von Lebensqualität und Therapietreue durch Spritz-Ess-Abstand bei insulinpflichtigen Typ 2-DiabetikerInnen "not necessary" (16.2.13)
Vorsicht Patentrezept: 11 Jahre Life-Style-Veränderung (Ernährung und Bewegung) von Diabetikern ohne "harten" Erfolg (23.10.12)
Langzeitstudie zu Diabetes-Kosten 2000-2009: Konstant und zunehmend zugleich!? (7.6.12)
Was hilft, das Gesundheitsverhalten von Diabetikern zu verbessern? Finanzielle Anreize: Nein! Persönliche Vorbilder: Ja! (6.5.12)
Unter-/Fehlversorgung: Nur mehrmalige Blutdruckmessungen liefern sichere Grundlage für Diagnose und Therapie von Bluthochdruck (30.6.11)
Praxis-Pflegekräfte behandeln Diabetiker vergleichbar gut wie Allgemeinärzte - Ergebnis eines RCT in den Niederlanden (30.6.11)
Europäische Arzneimittelbehörde: Rosiglitazon soll vom Markt (26.9.10)
"These data should not see the light of day to anyone outside of GSK". Risikowissen vorsätzlich durch Hersteller unterdrückt! (13.7.10)
Blutdruckmessen und Hochdruckbehandeln: Können Patienten Teile dieser wichtigsten Allgemeinarzttätigkeiten erfolgreich übernehmen? (8.7.10)
"Gesunde Normalität" oder wie (lebens)-gefährlich sind sekundärpräventive "Idealwerte"? - Das Beispiel Diabetes und HbA1c-Wert (1.4.10)
Täuschen, leugnen, desinformieren und einschüchtern - Strategien von GlaxoSmithKline zur Vermarktung ihres Diabetes-Blockbusters (28.3.10)
Ein gesunder Lebensstil ist zur Prävention von Diabetes effektiver als Medikamente (21.2.10)
Unter-/Fehlversorgung für Diabetiker in England: Leichte und schwere Amputationen nehmen bei Typ 2-Diabetikern 1996-2005 zu. (15.2.10)
Eine gute und eine schlechte Nachricht zur Sterblichkeit von Diabetikern (13.1.10)
Grenzen der Eigenverantwortungsrhetorik: Kein Nutzen der Blutzuckerselbstmessung bei nicht insulinpflichtigen DiabetikerInnen! (15.12.09)
Wie wirken sich die DRG in Deutschland auf die Versorgungsqualität aus? Patientenwahrnehmungen vor und während der DRG-Einführung (13.6.09)
Selbstkontrolle des Blutzuckers und Selbstmanagement der Ergebnisse oder HbA1c-Messung - Schwarzer Tag für Teststreifenhersteller? (13.4.09)
GBE-Heft "Hypertonie" : Zu geringe Bekanntheit, unter- und fehlbehandelt, schlecht kontrolliert, unzureichende Lösungsvorschläge! (18.12.08)
Großzügiges Untersuchungs- und Versorgungssystem aber mittelmäßige Ergebnisse: Achter Platz im Euro-Diabetes-Index für Deutschland (23.11.08)
Unter- und Fehlversorgung bei Fußamputationen von Typ 2-Diabetikern (22.8.2008)
Studie zur Therapie von Bluthochdruck: Am erfolgreichsten ist die Nutzung des Internet mit persönlichem Feedback eines Experten (27.6.2008)
Wie hoch ist das Depressionsrisiko von Diabetikern? - Daten zu einer vernachlässigten Seite einer somatischen Volkskrankheit. (24.6.2008)
Blutzuckerselbstmessung bei Diabetes Typ2-PatientInnen ohne Insulinbehandlung - keine positive Wirkung aber viele Nachteile! (21.4.2008)
"Erfreuliches" über Ungleichheit: Ärztinnen behandeln DiabetikerInnen besser (18.4.2008)
Vernachlässigung psychischer Begleiterkrankung einer somatischen Krankheit erhöht Sterblichkeitsrisiko. Diabetes und Depression! (9.12.2007)
74 % der Kinder mit gemessenem hohem Blutdruck bleiben trotz mehrerer Arztbesuche ohne Diagnose (22.8.2007)
Neue und teurere orale Antidiabetika nicht wirksamer und nützlicher als "alte"! - Review über die Situation in den USA. (18.7.2007)
"Stille Killer"-Gesundheitsrisiken in der Selbstwahrnehmung von Individuen: Zwischen "lautlos" und verschwiegen werden. (4.7.2007)
Self-Monitoring des Blutzuckers ohne gesundheitlichen Zusatznutzen - Von den Grenzen der Patienten-Eigenaktivitäten (29.6.2007)
Chronisch = viel Zeit, bis es schlimm wird!? Diabetiker können kurz nach der Diagnose einen Schlaganfall bekommen (15.6.2007)
Licht und Schatten der Diabetikerversorgung in England (22.5.2007)
Diabetes: Versorgung muss sich mehr an den realen Bedürfnissen und Fähigkeiten von Patienten orientieren! (9.2.2007)
Deutschland ein "besonderes Diabetesland"? - Diabetes-Gesundheitsbericht 2007 erschienen (5.12.2006)
Die (Un-)Abhängigkeit wissenschaftlicher Expertise und Organisationen: Der Fall Diabetes in den USA (25.11.2006)
Nutzen von Lebensstiländerungen bei Diabetikern nachhaltiger als erwartet (12.11.2006)
Therapieerfolgs-Bungee: Geringer nachhaltiger Behandlungserfolg für Diabetiker durch intensive Multitherapie (1.12.2005)
Diabetes mellitus - die teuerste Krankheit in Deutschland (29.7.2005)

Seite mit den Texten aller Artikel aufrufen:
Versorgungsforschung: Diabetes, Bluthochdruck
 

Andere Rubriken in "Patienten"


Gesundheitsversorgung: Analysen, Vergleiche

Arzneimittel, Medikamente

Einflussnahme der Pharma-Industrie

Arzneimittel-Information

Hausärztliche und ambulante Versorgung

Krankenhaus, stationäre Versorgung

Diagnosebezogene Fallgruppen DRG

Rehabilitation, Kuren

Kranken- und Altenpflege, ältere Patienten

Umfragen zur Pflege, Bevökerungsmeinungen

Schnittstellen, Integrierte Versorgung

Disease Management (DMP), Qualitätssicherung

Leitlinien, evidenzbasierte Medizin (EBM)

Verhaltenssteuerung (Arzt, Patient), Zuzahlungen, Praxisgebühr

Arztberuf, ärztl. Aus- und Fortbildung

IGeL Individuelle Gesundheitsleistungen

Alternative Medizin, Komplementärmedizin

Arzt-Patient-Kommunikation

Patienteninformation, Entscheidungshilfen (Decision Aids)

Shared Decision Making, Partizipative Entscheidungsfindung

Klinikführer, Ärztewegweiser

Internet, Callcenter, Beratungsstellen

Patienteninteressen

Patientensicherheit, Behandlungsfehler

Zwei-Klassen-Medizin

Versorgungsforschung: Übergreifende Studien

Versorgungsforschung: Diabetes, Bluthochdruck

Versorgungsforschung: Krebs

Versorgungsforschung: Psychische Erkrankungen

Versorgungsforschung: Geburt, Kaiserschnitt

Versorgungsforschung: Andere Erkrankungen

Sonstige Themen



Grenzen der Eigenverantwortungsrhetorik: Kein Nutzen der Blutzuckerselbstmessung bei nicht insulinpflichtigen DiabetikerInnen!

Artikel 1690 Wer die wissenschaftlichen Studien über den Nutzen der Blutzuckerselbstmessung der nicht insulinpflichtigen Diabetikern in den letzten Jahren ernsthaft verfolgt hat, konnte schon fast durchweg belastbare Hinweise auf die durch sie vor allem forcierte Geldverschwendung ("a waste of money") oder "viele Nachteile" ohne "positive Wirkung" finden.

Insofern war die Kernaussage des nach einer seit dem Sommer des Jahres mit Experten geführten Diskussion am 14. Dezember 2009 veröffentlichten Blutzuckerselbstmessung-Berichts des vom Gemeinsamen Bundesausschuss damit beauftragten "Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)" nicht völlig unerwartet. Entgegen der weit verbreiteten mit dem Nutzen für insulinpflichtige DiabetikerInnen assoziierten Annahme, gibt es keinen wissenschaftlichen Beleg für einen Nutzen der SElbstmessung für nicht insulinpflichtige DiabetikerInnen. Unklar bleibt mangels geeigneter Studien auch, ob der Blut-Test gegenüber dem Urin-Test einen Zusatznutzen aufweist oder umgekehrt, d.h. der eine oder andere Test für die Patientinnen und Patienten einen Vorteil bieten würde.

Mit der Selbstmessung der Blutzuckerwerte vor allem mittels Teststreifen waren und sind zunächst sinnvolle Ziele verknüpft:

• Da bei der Behandlung des Typ 2 Diabetes vor allem Bewegung und Ernährung, also Faktoren des Lebensstils eine große Rolle spielen, sahen die Befürworter der Selbstmessung darin eine wichtige Unterstützung, den Lebensstil umzustellen und auch deren Wirkungen motivierend sichtbar machen zu können. . Im Ergebnis müsste ihr Blutzucker langfristig besser eingestellt und Akut- und Langzeitkomplikationen vermindert sein - so jedenfalls die Annahme.
• Über- und akut vor allem Unterzuckerung haben lang- aber auch kurzfristig gefährliche Folgewirkungen. Sie gilt es daher zu vermeiden und dazu können Blutzuckermessungen beitragen. Derzeit gibt es zwei Möglichkeiten, den Blutzucker selbst zu testen. Die Niere scheidet Zucker über den Urin aus, wenn er einen zu hohen Wert im Blut überschreitet. Patientinnen und Patienten können deshalb eine Überzuckerung feststellen, indem sie einen Teststreifen in den Urin halten. Eine Unterzuckerung lässt sich so allerdings nicht erkennen. Letzteres ist zuverlässig nur durch die Blutzuckermessung möglich: Dabei wird eine geringe Menge Blut entnommen und auf einen Teststreifen gegeben. Egal, ob die Selbstmessung einen Nutzen hat oder nicht, weiß man schon länger, dass Messefehler auftreten können und sich PatientInnen daher in falscher Sicherheit wiegen oder aber unnötig verängstigt werden. Daher brauchen SelbstmesserInnen in jedem Fall eine gründliche Schulung, damit sie die Teststreifen richtig handhaben und die Messwerte von Blut- und Urin-Tests richtig interpretieren und umsetzen können.

Um zu überprüfen, ob sich die oben beschriebenen Annahmen auch wissenschaftlich nachweisen lassen, suchte das IQWiG nach vergleichenden Studien mit und ohne Selbstmessung. Die Selbstmessung konnte dabei auch Bestandteil eines komplexen Schulungs- und Behandlungsprogramms sein, wie sie häufig für Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus angeboten werden. Solche Studien wurden dann einbezogen, wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Kontroll- und der Vergleichsgruppe nach demselben Muster behandelt wurden - nur eben jeweils einmal mit und einmal ohne Selbstmessung.
Insgesamt haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 15 Publikationen identifiziert, die Daten aus 10 potenziell relevanten Studien berichteten. Nach gründlicher Analyse und nachdem Daten aus zwei Studien aus den Jahren 1986 und 2006 nicht erhältlich waren (offensichtlich ein nicht seltener Grund für die Exklusion von Studien aus Reviews und Metaanalysen) sahen die Gutachter noch 6 sogenannte randomisierte kontrollierte Studien als geeignet an, den Einfluss von medizinischen Maßnahmen auf den Krankheitsverlauf zu untersuchen. Bei allen einbezogenen Studien war eine Schulung Bestandteil der jeweiligen Therapiestrategie. Alle 6 Studien hatten den Nutzen der Blutzuckerselbstmessung untersucht, geeignete klinische Vergleiche zur Urinzuckerselbstmessung wurden nicht identifiziert.

Im Verhältnis zur potenziellen gesundheitlichen Bedeutung und zum finanziellen Aufwand für die Blutzuckerselbstmessung erweist sich die Studienlage nach der kritischen Sichtung der bereits quantitativ nicht üppigen Studien als unzureichend. Dabei sind folgende Schwachstellen und Mängel wichtig:

• Wichtige Kriterien für den patientenrelevanten Nutzen wurden überhaupt nicht erhoben. Das gilt insbesondere für die - durch den Diabetes bedingten - Begleit- und Folgeerkrankungen wie Augenschäden oder Herzerkrankungen. Zusammenfassend: "Aus den epidemiologischen Studien zur Thematik ergab sich kein Nachweis einer Assoziation der Blut- oder Urinzuckerselbstmessung mit Morbidität und Mortalität."
• Andere Aspekte wie etwa Lebensqualität und Therapiezufriedenheit wurden in einigen wenigen Studien zwar untersucht, aber nur unzureichend berichtet, so dass die Ergebnisse nicht als zuverlässig gelten können. Auch die wenigen vorliegenden Daten zeigten aber keinen Vorteil für die Selbstmessung.
• Die Laufzeit der eingeschlossenen Studien betrug zwischen 6 und 12 Monaten, d.h. keine der Studien war darauf ausgerichtet oder dazu wirklich in der Lage, den langfristigen Nutzen der Selbstmessung zu untersuchen. Aufgrund ihrer kurzen Laufzeiten erlauben sie auch keine Aussagen zum langfristigen Nutzen einer Zuckerselbstkontrolle.
• Alle in die Bewertung einbezogenen Studien haben auch den Einfluss der Blutzuckerselbstmessung auf den HbA1c-Wert untersucht. Dieser ist als eine Art Langzeitwert oder das "Blutzuckergedächtnis" für die Beurteilung der Blutzuckersituation der zuverlässigste Indikator. Tatsächlich zeigte sich bei der gemeinsamen Auswertung, dass durch die Blutzuckerselbstmessung die Senkung des Blutzuckers unterstützt wird. Der Unterschied im Vergleich zu der Gruppe, die keine Selbstmessung durchgeführt hatte, war jedoch nur marginal. Er bewegte sich in einem Bereich, den man bei der Zulassung von Medikamenten akzeptiert, um ein neues Medikament als "nicht unterlegen" gegenüber alten Medikamenten zu bezeichnen. Es ist also kein gesundheitlicher Vorteil von diesem Unterschied zu erwarten.
• Letztlich ist aber auch der HbA1c-Wert für die Bewertung des Nutzens einer Zuckerselbstkontrolle allein nicht aussagekräftig. Je niedriger nämlich der Blutzucker gesenkt wird, umso höher ist das Risiko für Unterzuckerungen. Solche Unterzuckerungen sind nicht nur störend, sondern sie können im Einzelfall auch eine schwerwiegende bis lebensgefährliche akute Komplikation darstellen. Deshalb ist es notwendig, Veränderungen des HbA1c-Werts immer auch in Abhängigkeit mit dem Auftreten von Unterzuckerungen zu bewerten. Die vorliegenden Studien zur Blutzuckerselbstmessung waren dafür jedoch ungeeignet. Ein Vorteil bei Unterzuckerungen ist somit nicht belegt.
• Außerdem bleibt unklar, ob die Zuckerselbstkontrolle dazu beigetragen hat, dass die Patientinnen und Patienten ihren Lebensstil ändern konnten. Ob dies nur an der mangelhaften Erhebung in diesen Studien liegt oder der Wirklichkeit entspricht ist nicht zu klären.
• Mangels Studien zur Urinzuckerselbstmessung kann man auch keine Aussagen zu einem Vergleich von Urin- und Blut-Test treffen.

Auch bei diesem Bericht muss schon vor der mit Sicherheit jetzt beginnenden heftigen Debatte auf die offene und diskursive Anlage des Entstehungs- und Bewertungsprozesses von IQWiG-Berichten hingewiesen werden. So verlief die Endphase dieses Berichts so: "Die vorläufige Bewertung, der Vorbericht, wurde am 23.06.2009 im Internet publiziert. Zu diesem Vorbericht konnten bis einschließlich 21.07.2009 Stellungnahmen von allen interessierten Personen, Institutionen und Gesellschaften einschließlich Privatpersonen, Fachgesellschaften und Industrieunternehmen abgegeben werden (Anhörung). Unklare Aspekte aus den Stellungnahmen wurden am 18.08.2009 in einer wissenschaftlichen Erörterung mit den Stellungnehmenden diskutiert. Der Vorbericht wurde zusätzlich einem externen Review unterzogen."
Wichtig ist schließlich, dass der vorliegende Abschlussbericht auch die Änderungen enthält, die sich durch die Stellungnahmen und das externe Review ergeben haben.

Die 142 Seiten der Nr. 65 der IQWiG-Berichte 2009: "Urin- und Blutzuckerselbstmessung bei Diabetes mellitus Typ 2" stehen der Öffentlichkeit komplett kostenlos zur Verfügung.
Eine fünfseitige Kurzfassung ist ebenfalls kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 15.12.09