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Großbritannien, United Kingdom
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"Englische Zustände" oder Erfolgsmodell für Steuerfinanzierung? Bericht zur Entwicklung des britischen NHS 1997-2010 (22.3.11)
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Unter-/Fehlversorgung für Diabetiker in England: Leichte und schwere Amputationen nehmen bei Typ 2-Diabetikern 1996-2005 zu. (15.2.10)
Vom unerwarteten Ende einer Verbesserung der Behandlungsqualität nach P4P-Start für Familienärzte in Großbritannien 1998-2007. (26.7.09)
Einige britische Psychotherapeuten versuchen auch heute noch, Homosexuelle zu therapieren und in Heteros zu verwandeln (29.3.09)
Teerlunge, Kehlkopfkrebs, Metastasen im Rachen: Nach Belgien zeigen jetzt auch Zigarettenpackungen in England Horrorbilder (15.10.2008)
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"Englische Zustände" oder Erfolgsmodell für Steuerfinanzierung? Bericht zur Entwicklung des britischen NHS 1997-2010
Der "National Health Service (NHS)" in Großbritannien befindet sich im Moment im grundlegendsten Reformprozess seit seiner Gründung im Jahre 1948. Im Mittelpunkt der aktuellen Reformbemühungen in Gestalt des "Health and Social Care Bill" und diverser Hintergrundsanalysen steht der Abbau zentralisierter bürokratischer Strukturen und die Übertragung der Zuständigkeit für die konkrete Steuerung der Versorgung an die Allgemeinmediziner ("general practioner (GP)").
Die Gesundheitswissenschaftler Allyson Pollock und David Price vom Centre for Health Sciences, Barts and The London School of Medicine and Dentistry warnen im British Medical Journal davor, die Gesetzesvorlage führe zur Abschaffung des NHS als universelles, umfassendes, öffentliches steuerfinanziertes und frei zugängliches Gesundheitswesen. Ihr Beitrag How the secretary of state for health proposes to abolish the NHS in England zeigt mögliche Konsequenzen der Gesundheitsreform auf. Die Autoren kritisieren den Glauben der Regierung, Wettbewerb auf dem Gesundheitsmarkt führe zu Kosteneffizienz, besserer Qualität und größerer Gerechtigkeit, als gänzlich unbelegt und fordern grundlegende Nachbesserungen, um die umfassende Versorgung der Bevölkerung durch den NHS nicht zu gefährden.
Unabhängig davon, ob die Bürokratie im NHS-System wirklich derart nachteilige quantitative und qualitative Dimensionen hat und die angestrebte Lösung die erwarteten Wirksamkeits- und Wirtschaftlichkeitsgewinne zeitigt, ist eine gründlichere Kenntnis der jüngeren Entwicklung des NHS-Systems und seiner wichtigsten Strukturen und Outcomes für die nationale aber auch die international vergleichende Analyse und Bewertung des prominentesten Modells eines steuerfinanzierten Gesundheitswesen nützlich.
Die dabei hilfreiche und zugleich aktuellste Quelle ist eine
faktenreiche Veröffentlichung in der generell wichtigen und wertvollen Reihe der so genannten "Health System in Transition (HiT)"-Reports des maßgeblich von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) getragenen "European Observatory on Health Systems and Policies".
Dieser Bericht beschäftigt sich mit der Entwicklung des NHS in Großbritannien in den Jahren 1997 und 2010 und kommt u.a. zu folgenden Ergebnissen:
• Zwischen 1997 und 2008 verdoppelten sich die Gesamtausgaben für Gesundheit bei einer nahezu gleichbleibenden Bevölkerungsanzahl von 55,1 Milliarden £ auf 125,4 Milliarden £. Die Pro-Kopf-Ausgaben stiegen von 231 £ in 1980 auf 1.852 £ im Jahr 2008. Der Anteil sämtlicher Aufwendungen für die Gesundheitsversorgung am Bruttoinlandsprodukt stieg von 5,6 % im Jahre 1980 auf 8,7 % im Jahre 2005.
• Die Lebenserwartung bei der Geburt stieg zwischen 1981 und 2008 um 5,1 Jahre bei den Frauen auf 82,1 Lebensjahre und um 6,9 Jahre bei den Männern auf 78 Lebensjahre. Dies beruht vor allem einer beträchtlichen Absenkung der Kleinkindersterblichkeit von 14,2 Fällen pro 1.000 lebend geborenen Kindern im Jahre 1976 auf 4,7 Fälle im Jahr 2008 und im selben Zeitraum der Totgeburten oder Sterblichkeit in der ersten Woche nach Geburt von 17,6 Fällen pro 1.000 Lebendgeborenen auf 7,6 Fälle.
• Insbesondere seit 2000 war die Erhöhung der Anzahl verschiedener Gesundheitsbeschäftigten eines der wichtigsten politischen Ziele, um u.a. die systemtypischen langen Wartezeiten zu verkürzen. Dazu gehören 50.000 zusätzliche Ärzte von denen rund 10.000 GP's sind und beinahe 100.000 zusätzliche Pflegekräfte und Hebammen.
• Die Produktivität des NHS nahm aber trotzdem vor allem deshalb nicht zu, weil viele neue Ressourcen in den Ausbau der personellen Infrastrutur der NHS-Verwaltung gingen oder von steigenden Preisen und steigenden Kosten für die Verbesserung der Versorgung verwirtschaftet wurden.
• Ein wichtiges erklärtes Ziel des NHS, Risiko- und Versorgungsungleichheiten zu reduzieren, wurde trotz vielfältiger Variationen der Gesundheitspolitik nicht erreicht. Vielmehr verschlechterte sich die Ungleichheitssituation noch, auch wenn sich die gesundheitliche Gesamtsituation der Bevölkerung insgesamt verbessert hat.
• Zu Letzterem gehört z.B. eine seit den 1970er Jahren über alle sozioökonomische Gruppen hinwegVerlängerung der Lebenserwartung, der Rückgang der Sterblichkeit bei wichtigen Gruppen von Versicherten bzw. -Patienten. Zwischen den von 2002 bis 2005 geborenen Kindern aus der unteren und unqualifizierten sozialen Schicht und der Facharbeiterschaft betrug der Unterschied bei der Lebenserwartung ab Geburt 7,3 Jahre bei den Männern und 7 Jahre bei den Frauen.
• Seit 1999 gibt es im NHS eine Reihe experimenteller Versuche, Leistungserbringer aktivitäts- oder erfolgsorientiert zu bezahlen.
• Die Pro-Kopf-Ausgaben für Zuzahlungen stieg in Großbritannien von 62 £ im Jahr 1990 auf 230 £ im Jahr 2008, wobei der Anstieg zwischen 1990 und 1997 am stärksten war.
Der materialreiche und durch zahlreiche Links hervorragend zur vertiefenden Arbeit geeignete Report "United Kingdom (England): Health system review" von Seán Boyle umfasst 514 Seiten, ist 2011 als Band 13 der Reihe "Health Systems in Transition" erschienen und kostenlos erhältlich.
Bernard Braun, 22.3.11