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Versorgungsforschung: Psychische Erkrankungen


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"Süchtige Halbgötter" oder "entmachtete Übermenschen" - Haben Ärzte Probleme mit Suchtsubstanzen?

Artikel 1473 Die Frage, ob Ärzte Probleme mit Suchtsubstanzen haben, kann auf internationaler wie nationaler Ebene bejaht werden. Im Ausland allerdings liegen hierzu und auch zur Frage, ob und wie dies geändert werden kann, mehr Daten vor. Die Situation und das inländische Dilemma brachte ein "FAKT"-Fernsehbeitrag im Jahr 2002 auf folgenden Nenner: "Ärzte sind stärker suchtgefährdet als die Normalbevölkerung. Amerikanische Studien belegen das. Für Deutschland gibt es keine Zahlen. Angenommen, daß nur rund 5 Prozent der Ärzte süchtig sind, hieße das: über 17.000 süchtige Ärzte praktizieren in Deutschland. Jeder von ihnen ist eine potentielle Gefahr für seine Patienten. Die Kunstfehlerquote dieser Ärzte liegt 10 - 100 mal höher, so Schätzungen. Die übliche Reaktion der Kollegen: Wegschauen."

Fünf Jahre später fasste ein Beitrag über Arztmythen die Situation so zusammen: "Etwa sieben bis neun Prozent der Ärzte in Deutschland stecken in der Suchtfalle, sagen vorsichtige Schätzungen. Legt man diese Zahl zugrunde, wären 30.000 deutsche Mediziner betroffen. Damit liegt der Anteil um ein dreifaches höher als in der restlichen Bevölkerung." In der "Suchtfalle" sitzen nach derselben Quelle, aber ohne primäre Belege, keineswegs alle Ärzte, sondern bevorzugt Klinikärzte, allen voran Chirurgen und Anästhesisten oder auch angehende Ärzte, die Panikattacken oder Erwartungsdruck mit Alkohol oder Tabletten betäuben. Der Großteil der süchtigen Ärzte ist dem Alkohol verfallen. Positiv zu berichten ist schließlich doch noch, dass Mediziner, die in einer Gemeinschaftspraxis arbeiten, weniger anfällig für die suchtfördernden Veränderungen sind, die eine Arztkarriere mit sich bringt.

Dass über dieses für die Gesundheit der Ärzte und der eines Teils ihrer Patienten vorhandene Problem auch genauer, offener, öffentlicher und hilfsbereiter kommuniziert und gehandelt werden kann, zeigen die gerade in den USA veröffentlichten Ergebnisse einer fünfjährigen retrospektiven longitudinalen Kohortenstudie mit 904 konsekutiv zwischen 1995 und 2001 in eine Suchttherapie aufgenommenen ÄrztInnen der für diesen Zweck gesondert existierenden 16 staatlichen und unter der Aufsicht der Zulassungsbehörde für ärztliche Approbiation laufenden Gesundheitsprogramme für Ärzte.

Nach dieser Studie entwickeln etwa 10 % der US-Ärzte Suchtprobleme. Die primären Suchtsubstanzen waren Alkohol, Opiate und Stimulanzien (wie Amphetamine).

Das zentrale Ziel der Studie war, die Effektivität dieser Gesundheitsprogramme für Ärzte bei der Behandlung von Ärzten mit Substanzabhängigkeit zu evaluieren. Als Endpunkte galten das vollständige Absolvieren des Programmes, der mögliche weitergehende Alkohol- und Arzneimittelmissbrauch (reguläre Urintests) sowie der berufliche Status nach fünf Jahren.

Die Ergebnisse sahen so aus:

• 155 von 802 Ärzten (19,3%) mit bekannten Ergebnissen beendeten das Programm nicht, der Abbruch war meistens am Anfang der Behandlung.
• Von den 647 (80,7%), die die Behandlung beendeten und die unter Aufsicht und Kontrolle wieder ihrer ärztlichen Tätigkeit nachgingen, wurde auch nach 5 Jahren ein Alkohol- oder Medikementenmissbrauch mittels Urinuntersuchungen bei 126 (19%) Ärzten festgestellt; von diesen hatten 33 (26%) wiederholt positive Testergebnisse.
• Nach fünf Jahren Nachbeobachtung hatten 631 (78,7%) Ärzte noch eine Approbation und arbeiteten, 87 Ärzten (10.8%) wurde die Approbation entzogen, 28 (3,5%) waren pensioniert, 30 (3,7%) sind gestorben, und 26 (3,2%) hatten einen unbekannten Status.

Sofern also weder die Öffentlichkeit noch "die Kollegen" das Problem verschweigen, sondern es als ernsthaftes gesundheitliches Problem behandeln und offen Hilfen anbieten und diese Hilfen auch angenommen werden, zeigen etwa Dreiviertel der Ärzte mit Substanzabhängigkeit gute Prognosen nach dieser Therapie. Solche Programme scheinen eine angemessene Kombination von Behandlung, Unterstützung sowie Sanktionen zu geben, um die Abhängigkeit von Ärzten effektiv zu bewältigen. Das Programm ist ausdrücklich kein ärztlich-medizinisches Behandlungsprogramm für Ärzte als Patienten, sondern ein komplexes soziales Interventions- und Unterstützungsprogramm. Eine klassische medizinische Behandlung gegen die physiologischen Suchtfolgen kommt also noch hinzu und wird durch das hier dargestellte Programm nur umfassend ergänzt oder wirksamer.

Angesichts dieser Ergebnisse stellt sich noch mehr und dringlicher die Frage, warum es in Deutschland weder über die Häufigkeit von Substanzabhängigkeit von Ärzten, deren Auswirkungen auf die Gesundheit und soziale Situation der davon betroffenen Ärzte und die Gesundheit ihrer PatientInnen genauere Daten gibt und warum weder Staat noch Ärzteverbände vergleichbare Angebote für diese Gruppe erkrankter Ärzte anbietet noch einen spürbaren Druck auf die sich selbst und Dritte gefährdenden Ärzte ausübt, sich in Behandlung zu geben oder die Ausübung ihres Berufes untersagt zu bekommen. Ein Blick in die USA zeigt, dass die Befürchtung, Ärzte verlören durch den offeneren Umgang mit ihren Suchtproblemen ihren "Heiligenschein" und entwerteten sich, eher damit unwahrscheinlich ist bzw. kulturell modifiziert werden kann.

Der sechsseitige Aufsatz "Five year outcomes in a cohort study of physicians treated for substance use disorders in the United States" von McLellan A.T. et al. ist bereits im November 2008 im "British Medical Journal" (BMJ 2008 Nov 4; 337:a2038) erschienen und komplett als PDF-Datei kostenlos erhältlich.

Wer Genaueres über das "Physician Health Programm (PHP)" wissen will, kann dies ausführlich in einem Aufsatz der Programmevaluatoren (Robert L. DuPont, A. Thomas McLellan, William L. White, Lisa J. Merlo, Mark S. Gold) tun. Er erscheint zwar erst im März 2009 in der Zeitschrift "Journal of Substance Abuse Treatment" (36 (2009) 159-171) unter dem Titel "Setting the standard for recovery: Physicians' Health Programs" , ist aber jetzt schon in einer Onlineversion und als PDF-Datei kostenlos erhältlich. Weitere Publikationen der Autoren über die Wirksamkeit von PHP sind "in press".

Bernard Braun, 29.1.09