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Versorgungsforschung: Psychische Erkrankungen


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Psychische Erkrankungen: Viel "Epidemie" und relativ wenig evident wirksame Präventionsmaßnahmen in der Arbeitswelt

Artikel 1880 Egal, ob es um Arbeitsunfähigkeit, Maßnahmen zur Rehabilitation oder auch Frühberentung geht, so genannte psychische Erkrankungen schieben sich seit mehreren Jahren scheinbar unaufhaltsam auf die ersten Plätze. So ernst man das Geschehen hinter den Zahlen im Einzelfall nehmen muss, so wichtig und überfällig sind aber differenziertere Betrachtungen der "Epidemie" psychischer Erkrankungen. Dies sollte u.a. beinhalten:

• Das Aufdröseln dessen, was zur Flut der "psychischen Erkrankungen" zusammengefasst wird. Hier geht es sowohl um Depressionen, Ängste, Burnout, Neurosen etc. als auch im quantitativ nicht unerheblichen Maße um Suchterkrankungen wie den Alkoholismus.
• Ein Teil des scheinbar neuen Problembergs entsteht nicht aktuell, sondern existierte objektiv und subjektiv im schamhaften Verborgenen bereits immer. Die aktuelle Entwicklung ist also zum Teil ein Entdeckungs- und Akzeptanzphänomen. Statt einer Depression sprach man vor 20 Jahren lieber über ein psychovegetatives Erschöpfungssyndrom.
• Zu fragen ist aber auch, ob ein Teil der psychischen Erkrankungen nicht Ausdruck der auch sonst verbreiteten Medikalisierung von Lebenslagen oder natürlichen Reaktionen ist oder auch hier z.B. neue Medikamente eine "Krankheit" oder Therapeuten "Patienten" suchen und finden. Der anerkannte Psychiater Klaus Dörner warnte im "Deutschen Ärzteblatt" bereits 2002 mit folgenden Beobachtungen und Kommentaren vor einer solchen Entwicklung: "Seit den 90er-Jahren ist die Depression weltweit als unzureichend vermarktet erkannt. Eine Art Rasterfahndung nach unentdeckten Depressiven, wovon immer einige Menschen real profitieren, die meisten jedoch durch zusätzliche Etikettierung in ihrer Vitalität Schaden nehmen, hat zum Beispiel in den USA dazu geführt, dass sich von 1987 bis 1997 die Zahl der wegen Depression Behandelten von 1,7 auf 6,3 Millionen fast vervierfacht hat; ent-scheidend dafür war die suggestive Aufklärungskampagne und aggressive Werbung für Antidepressiva." Und: "Ein Selbstversuch, den jeder wiederholen kann: Ich habe zwei Jahre lang aus zwei überregionalen Zeitungen alle Berichte über Forschungen zur Häu-figkeit psychischer Störungen (zum Beispiel Angst, Depression, Essstörung, Süchte, Schlaflosigkeit, Traumata) gesammelt: Die Addition der Zahlen ergab, dass jeder Bundesbürger mehrfach behandlungsbedürftig ist. Die meist von bekannten Professoren stammenden Berichte versuchten in der Regel, dem Leser zunächst ein Erschrecken über den hohen Prozentsatz der jeweiligen Einzelstörungen zu suggerieren, um ihn dann wieder zu entlasten, weil es heute dagegen die zauberhaftesten Heilmethoden gäbe, fast immer in der Kombination von Psychopharmaka und Psychotherapie; denn hier verspricht die Kooperation der Konkurrenten den größten Gewinn."

Egal, wie häufig psychische Erkrankungen wirklich neu entstehen und versorgt werden müssen, gilt aber auch bei ihnen, dass sie nicht unvermeidbar sind, also präventiv verhindert oder ihr Eintritt hinausgezögert werden kann. Und sicher ist auch, dass dabei die Bedingungen der Arbeitswelt eine wichtige fördernde und hemmende Rolle spielen.

Ein 2010 erschienener Forschungsbericht hat daher für Telekommunikationsunternehmen systematisch Faktoren zu identifizieren versucht, "die das psychische Befinden positiv oder negativ beeinflussen oder die Wiedereingliederung nach krankheitsbedingter Abwesenheit erleichtern." Als Erkenntnisquellen dienten mehrere Literaturreviews und qualitative Interviews mit Unternehmensvertretern. Die wichtigsten Funde der Literaturreviews lauteten:

• Dem Problemberg stehen zum Teil lückenhafte Erkenntnisse oder Beweise über mögliche Ursachen gegenüber. Die Evidenz vieler Maßnahmen ist lückenhaft oder schlecht. Viele der in den Betrieben durchgeführten Praxismodelle sind nie evaluiert worden.
• Als Faktoren mit negativem Effekt auf das psychische Wohlbefinden wurden identifiziert: Arbeit-sanforderungen wie hohe Anforderungen, geringer Entscheidungsspielraum, geringe soziale Unterstützung und geringe Kontrolle, Geringe Arbeitszufriedenheit, Monotonie, Rollenunklarheit und -konflikte, schlechte Kommunikation und großes Ungleichgewicht zwischen Anstrengung und Belohnung, Erlebtes Fehlen von Unternehmensgerechtigkeit und Führungsstile.
• Positiv wirken sich dagegen folgende Faktoren auf das psychische Wohlbefinden aus: In Sommerurlaub gehen, optimierte Aufgaben- und Jobgestaltung, multimodale Ansätze für Interventionen bei schlechtem psychischem Befinden unter Berücksichtigung der Faktoren Eigenverantwortung, Engagement und Eignung, Einsatz psychologischer Interventionen bei Störungen des psychischen Wohlbefindens, Flexible Arbeitszeiten und Wertschätzung der Belegschaft.
• Für die Wirksamkeit von Bedingungen, welche die Wiedereingliederung nach krankheitsbedingter Abwesenheit begünstigen, lag zwar nur eine vergleichsweise geringe Evidenz vor, als potenziell positiv gelten aber: Programme zur stufenweisen Rückkehr an den Arbeitsplatz und/oder psychologische Rehabilitation, die Aufrechterhaltung eines regelmäßigen Kontakts zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, systematische Ursachenanalysen und mögliche Anpassungen im Arbeitsumfeld.

In den acht genauer untersuchten Unternehmen gab es "Beispiele guter Praxis", wobei ihre Wirksamkeit oder ihre Effizienz mangels Evaluation nicht gesichert ist.

Der u.a. von der WHO und der EU-Kommission geförderte 108 Seiten umfassende Forschungsbericht 603-00944 "Gute Arbeit, gute Gesundheit" von Joanne O. Crawford, Phil George, Richard A. Graveling, Hilary Cowie und Ken Dixon ist im Juni 2010 in mehreren Sprachen, darunter auch in deutscher Sprache, erschienen und kostenlos erhältlich (ein bisschen aufwändig: auf Evidence based reports und dann auf die deutsche Fassung klicken).

Bernard Braun, 25.11.10