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Was macht und nützt die soziale Selbstverwaltung in der Sozialversicherung? Erste Antworten zur Arbeit der Widerspruchsausschüsse

Artikel 2665 Seit vielen Jahren tauchen sie in jeder der häufig kontroversen Debatten über den Nutzen der sozialen Selbstverwaltung in den Sozialversicherungsträgern wie z.B. der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit ultimativem Gewicht aber ohne selbst halbwegs repräsentative empirische Belege auf: die Widerspruchsausschüsse. In ihnen landen Widersprüche von Versicherten gegen Bescheide z.B. der Krankenkasse vor dem möglichen Gang zum Sozialgericht können überprüft und zu einem gewissen Teil auch revidiert werden.
Wie viele strittige Bescheide in wie vielen Ausschüssen landen, was das Ergebnis dieses vorgerichtlichen Verfahrens ist, wie viele Selbstverwaltungsmitglieder damit mit welchem zeitlichen und sonstigen Aufwand beschäftigt sind und wie die haupt- und ehrenamtliche Akteure diese Arbeit bewerten, war bisher unbekannt bzw. höchstens anekdotisch belegt.

Ein groß angelegtes von der Hans Böckler Stiftung zwischen 2014 und 2017 gefördertes und von den Sozialrechtlern Armin Höland (Universität Halle) und Felix Welti (Universität Kassel) geleitetes Forschungsprojekt, beendet diesen Zustand grundlegend.

"Im Rahmen des Forschungsprojekts wurden die Widerspruchsausschüsse der deutschen Sozialversicherungsträger insbesondere durch eine Befragung ihrer Mitglieder, eine Analyse der Satzungen der Sozialversicherungsträger und Analysen von Recht und Rechtsprechung erforscht. Zu den zentralen Ergebnissen gehören Einblicke in die Vorbereitung und Durchführung der nicht öffentlichen Sitzungen der Widerspruchsausschüsse, in die Bedingungen ihrer Entscheidungsfindung und in das Zusammenwirken zwischen dem verwaltungsinternen Abhilfeverfahren und der Entscheidung der Ausschüsse. Ebenso wurden Daten über die unterschiedliche Wahrnehmung des Verfahrens durch die Hauptamtlichen, die Arbeitgebervertreter und die Versichertenvertreter erhoben und daraus Bewertungen und Vorschläge entwickelt. Die weiteren Beiträge verknüpfen die Ergebnisse und Thesen aus dem Projekt mit Forschungsergebnissen und Forschungsprogrammen der Rechtssoziologie, der Verwaltungswissenschaft und der Politikwissenschaft sowie mit dem Forschungsstand aus Großbritannien." (Zusammenfassung des Sammelbandes zu den Projektergebnissen)
In dem Sammelband finden sich dann u.a. folgende systematische und empirische Beiträge: Die Forschungsergebnisse zu den ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitwirkenden in Widerspruchsausschüssen - eine Auswahl (S. Böttcher), Widerspruchsausschüsse in der Sozialversicherung - rechtssoziologische Erkenntnisse und Fragen (A. Höland), Die Entscheidungsgrundlagen des Widerspruchsauschusses, insbesondere die sachkundige Begutachtung (F. Welti), Das Widerspruchsverfahren und die Widerspruchsausschüsse in der Sozialversicherung (M. Fischer und F. Welti), Konflikte, Rechtsschutz und Wirklichkeiten im Verfahren der sozialversicherungsrechtlichen Widerspruchsausschüsse - eine verwaltungswissenschaftliche Perspektive (R. Pitschas), Der Konflikt zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Sozialleistungsträgern im Spiegel der Rechtssoziologie (H. Rottleuthner), Zur Empirie des Widerspruchsverfahrens und der Streitbehandlung in der Sozialversicherung (A. Höland) und Erkenntnisse zum Widerspruchsverfahren aus den Akten sozial gerichtlicher Verfahren (C. Buchwald, E. Krausbeck und A. Höland).

Jegliche weitere Debatte über den mit der Existenz und Tätigkeit der sozialen Selbstverwaltung verbundenen sozialen Nutzen und über die Arbeit der Widerspruchsausschüssen im Besonderen, kommt um die Ergebnisse dieser Studie nicht herum.

Dass nur 47% der um Beteiligung an der Studie gebetenen Träger zur Teilnahme und zur Mitarbeit an der Schaffung von Transparenz über die Arbeit in den Widerspruchausschüssen bereit waren, ist zwar aus Sicht empirischer Sozialforschung unbefriedigend, begründet aber keine grundlegenden Zweifel an der Repräsentativität der Ergebnisse. Warum Körperschaften öffentlichen Rechts mit bis zu 72 Millionen Versicherten nicht zum ersten Mal keine Einblicke in ihr Innenleben ermöglichen, ist unverständlich und sollte in weiteren Forschungsprojekten genauer untersucht werden.

Neben einer Fülle von quantitativen und qualitativen Belegen für den Umfang der geleisteten Arbeit in den Widerspruchsausschüssen (knapp 400.000 Widersprüche in 1.000 bis 1.200 Widerspruchsausschüssen mit 3.000 bis 3.500 Mitgliedern (61% Versichertenvertreter)) die Erfolge und Misserfolge/Schwächen (z.B. wird ein überdurchschnittliches Drittel der nach dem trägerinternen Widerspruchsverfahren doch noch vor Gericht gelandeten Bescheide dort doch positiv zugunsten des klagenden Versicherten entschieden) Arbeit der Widerspruchsausschüsse finden sich aber auch zahlreiche Hinweise auf mögliche Grenzen und Entwicklungsherausforderungen.

Von besonderer Bedeutung nicht nur für die Arbeit ehrenamtlicher Laien-Akteure in Widerspruchsausschüssen sind die "zahlreiche(n) Hinweise auf das Vorhandensein eines mehr oder weniger ausgeprägten Wissensgefälles" oder einer "Wissensdifferenz zwischen drinnen und draußen" zwischen der Verwaltung des Trägers und den Selbstverwaltern: "Wissen ist eine komplexe Ressource. Sie besteht aus formalen und informalen Bestandteilen und aus implizitem ('stillem') und explizitem Wissen … Neben den kodifizierten, publizierten und einfach vermittelbaren expliziten Wissensfragmenten besteht eine Fülle von nicht stets präsenten, aber aktivierbaren Elementen von Erfahrungs-, Hintergrund- und Kontextwissen sowie dem Wissen um die Anwendung von Wissen, also gleichsam dem 'Wissen-Wissen'. … Nur ein Teil des in der Organisation vorhandenen impliziten Wissens wird sich für Externalisierung eignen und an außen stehende Personen wie die ehrenamtlichen Mitglieder von Widerspruchsausschüssen vermittelt werden können." Dieses "Gefälle" findet seinen Ausdruck in deutlich unterschiedlichen Wahrnehmungen der Art, des Umfangs und des Erfolgs der ehrenamtlichen Akteure durch Verwaltungsangehörige. Dies muss keinen bösen Hintergrund haben, sondern kann Ausdruck unterschiedlicher Einstellungen und Vorstellungen von einem erfolgreichen Widerspruchsverfahren sein. Es verdient in jedem Fall weitere Forschung.

In diesem Zusammenhang ist auch der Hinweis, dass die Tätigkeit von Selbstverwaltern in Widerspruchsausschüssen - aber auch in den Verwaltungsräten insgesamt - "zwei nicht deckungsgleichen Handlungslogiken" unterliegt und sich diese "im Grenzbereich zwischen funktionaler Selbstverwaltung und staatlicher Rechtspflege" bewegt. Ehrenamtliche Mitglieder der Selbstverwaltung "müssen individuell und als Funktionsgruppe zwei Grenzen bewältigen, die zwischen dem organisationsgebundenen Fachwissen und ihrem lebensweltlichen Laienwissen sowie die zwischen Interessenvertretung, also einer advokatorischen Haltung, und der Anwendung von Recht, also einer neutralen Funktionshaltung." Dafür ob und wie dieser Mehrfachspagat funktioniert, liefert das Forschungsprojekt eine Fülle gehaltvoller Daten.

Es gibt schließlich aus der Sicht des Verwaltungswissenschaftlers R. Pitschas im Forschungsbericht geäußerte "Zweifel an der Befriedungswirkung der Tätigkeit von Widerspruchsausschüssen" was für ihn Folge "der weitgehend fehlenden Kommunikation zwischen Ausschüssen und Widerspruchsführern" ist.
Die "Kommunikationsstrukturen der Widerspruchsausschüsse geben" schließlich für Pitschas für die Versichertenorientierung "eine entmutigende Auskunft. Sie beschränken die Kommunikation … zu Lasten der Widerspruchsführern. Nicht nur, … dass 'unbekannt" sei, 'inwieweit die Verwaltung im Abhilfeverfahren mit den Versicherten kommuniziert' (Fischer/Welti). Mehr als die Hälfte der zu diesem Punkt befragten RichterInnen führen … die Vielzahl der Klagen auf das Gefühl der Versicherten zurück, nicht ernstgenommen zu werden." (Pitschas)
Der 2019 als Nr. 411 der Study-Reihe der Hans Böckler Stiftung erschienene 240-seitige Bericht Recht und Praxis der Widerspruchsausschüsse in der Sozialversicherung. Bestandsaufnahme und Wirkungsanalyse ist kostenlos erhältlich.

Bernard Braun, 26.9.19