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Hausarztmodelle der Krankenkassen: Bessere Versorgung zu höheren Kosten oder nur höhere Kosten?

Artikel 0646 Ab 1.April müssen alle Gesetzlichen Krankenkassen ihren Versicherten ein sogenanntes Hausarztmodell anbieten. Versicherte, die sich dort einschreiben, können dafür die anfallenden Praxisgebühren einsparen (oder ein Großteil davon). Im Gegenzug müssen sie sich verpflichten, bei Gesundheitsbeschwerden zunächst immer einen Hausarzt ihrer Wahl aufzusuchen und nicht direkt zum Facharzt zu gehen. Ausgenommen hiervon sind Besuche beim Augen- oder Frauenarzt. Im Hausarztmodell der Barmer wird zusätzlich auch noch eine "Hausapotheke" festgelegt, bei der Versicherte dauerhaft ihre Medikamente beziehen müssen.

Hausarztmodelle sollen Kosten im Gesundheitswesen einsparen: Durch Vermeidung von doppelter Diagnostik, durch die Lotsenfunktion zum tatsächlich geeigneten Facharzt. Sie sollen aber auch zu einer besseren medizinischen Versorgung beitragen: Durch die verpflichtende Teilnahme der Ärzte an Qualitätszirkeln, aber auch durch eine bessere Abstimmung unterschiedlicher Medikamente und durch eine bessere Kenntnis der privaten Lebensumstände von Patienten.

Ob Hausarztmodelle tatsächlich in der Lage sind, Kosten einzusparen ist strittig. Fest steht zunächst nur, dass den Kassen zusätzliche Ausgaben entstehen, bundesweit schätzungsweise 500 Millionen Euro. Die Kosten resultieren einerseits aus Prämien für Teilnehmer (Erlass der Praxisgebühr), Verwaltungskosten und zusätzliche Arzt- und Apothekenhonorare. Bei der Barmer erhalten Ärzte zusätzlich zu den Behandlungskosten für jeden Teilnehmer am Modell einmalig rund 15 Euro als Einschreibegebühr und pro Patient und Quartal zusätzlich etwas mehr als fünf Euro, Apotheken erhalten pro Beratung mit dem Arzt über das Medikamentenkonto etwa 9 Euro.

Dass diese Zusatzkosten mittel- und langfristig wieder aufgefangen werden und sich durch die Lotsenfunktion des Hausarztes sogar Kostenersparnisse einspielen, wird von Repräsentanten einiger Krankenkassen unterstrichen, von anderen ebenso heftig dementiert.
Auch wissenschaftliche Studien zu möglichen Kostenvorteilen durch Hausarztmodelle kamen bislang eher zu negativen Resultaten. Eine Studie der Ruhr Universität Bochum mit dem Titel "Der Hausarzt als Lotse im System der ambulanten Gesundheitsversorgung? Empirische Analysen zum Einfluss der individuellen Hausarztbindung auf die Zahl der Arztbesuche" kam zu dem Ergebnis: "... zeigen unsere Befunde, dass die Tatsache, dass Patienten einen Hausarzt haben, insgesamt eher zu einer Erhöhung der Zahl der Arztkonsultationen bei diesen Patienten führt. (...) Entgegen der Einsparungshoffnungen lassen die vorgestellten Befunde sogar befürchten, dass - wenn man die Konsultation eines Hausarztes in Zukunft für alle Versicherten zur Pflicht macht - damit durchaus sogar eine Ausgabensteigerung verbunden sein kann, da sich die Zahl der zu bezahlenden Arztbesuch insgesamt erhöhen dürfte."

Und auch eine international vergleichende Studie der Universität Duisburg-Essen Hausarztmodelle in der GKV - Effekte und Perspektiven vor dem Hintergrund nationaler und internationaler Erfahrungen kam zu dem Schluss, dass "ein ausgabensenkender Effekt lediglich für den Anstieg der ambulanten Gesundheitsausgaben nachgewiesen werden (kann). Der Anteil öffentlicher Gesundheitsausgaben und die Höhe des Bruttoinlandsproduktes wirken wesentlich eindeutiger sowohl auf das Niveau als auch die Steigerungsraten der Gesundheitsausgaben." In dieser Studie wurden auch Zweifel laut, ob und inwieweit "die derzeitig tätigen Hausärzte kurz- oder auch mittelfristig flächendeckend die enormen Qualifikationsanforderungen für ein Hausarztmodell erfüllen sollen." Eben diese Zusatzqualifikationen sind jedoch ein entscheidendes Argument dafür, dass Hausarztmodelle die medizinische Versorgungsqualität erhöhen können und sollen.

Weitere Fragezeichen hierzu tauchen auf, wenn man neuere Befragungsergebnisse betrachtet, die in einer Auswertung von repräsentativen Befragungsdaten des "Gesundheitsmonitor" der Bertelsmann-Stiftung zutage gekommen sind. Dort zeigte sich:
• Gespräche mit dem Hausarzt dauern bei Teilnehmern an Hausarztmodellen im Durchschnitt etwas länger. Bei 35% der Teilnehmer dauern diese Arztgespräche über 10 Minuten, bei Nicht-Teilnehmern sind es nur 27%. Auch die Gesprächsdauer wird von Teilnehmern etwas häufiger als "lang" eingeschätzt.
• Die Zahl der Arzt- und auch der Facharztkontakte ist bei Teilnehmern an Hausarztmodellen deutlich höher. Dies ist insofern nicht überraschend, als Versicherte im Hausarztmodell deutlich älter sind und auch häufiger an einer chronisch Erkrankung leiden.
• Bei der Gesamteinschätzung der medizinischen Versorgung innerhalb und außerhalb von Hausarztmodellen zeigen sich kaum Belege für eine bessere Versorgung: Nur 10% erkennen Hinweise für eine solche Veränderung im Vergleich zu vorher.
• Die Lotsen- oder "Gatekeeper"-Funktion des Hausarztes ist deutlich zu erkennen: Vor einem Facharztbesuch holen sich Teilnehmer an Hausarztmodellen in der Regel immer erst eine Überweisung vom Hausarzt und sie machen dies auch sehr viel öfter als andere Versicherte.

Damit finden sich zwar Hinweise auf eine etwas längere Dauer des Arztkontaktes, was andeuten könnte: Untersuchungen werden gründlicher durchgeführt, auf Patientenbedürfnisse nach "sprechender Medizin" wird stärker eingegangen. Gleichwohl stellt Jan Böcken, Autor der Studie und Mitarbeiter der Bertelsmann-Stiftung, zusammenfassend fest: "Die Daten weisen derzeit nicht auf große Unterschiede zwischen der Versorgung innerhalb und außerhalb von Hausarztmodellen hin." (vgl. Jan Böcken: Hausarztmodelle in Deutschland: Teilnehmerstruktur, Beitrittsgründe und die Koordination zum Facharzt, in: Böcken u.a.: Gesundheitsmonitor 2006, Gütersloh 2006, S. 247-271)

Etwas optimistischer als diese Befragungsergebnisse stimmen Befunde, die vom Prognos Institut für das Modellvorhaben der AOK Baden-Württemberg gefunden wurden und in einem Zwischenbericht festgehalten sind: Wissenschaftliche Begleitung des Qualitäts- und Kooperationsmodells Rhein-Neckar (Hausarztmodell). In einer Zusammenfassung der Ergebnisse durch die AOK heißt es: "Die bisher entwickelten und eingesetzten Steuerungsinstrumente sind erfolgreich implementiert und werden insbesondere von den Versicherten positiv bewertet. Das entwickelte Präventionskonzept hat die Primärprävention belebt und kann durch eine Optimierung der eingesetzten Instrumente weiter an Akzeptanz gewinnen. Die Versicherten schätzen das Angebot. Besonders hervorzuheben ist die hohe Akzeptanz des Hausarztmodells bei den Versicherten. Sie sind mit den neuen Angeboten und Maßnahmen sowie den beteiligten Ärzten sehr zufrieden."
AOK Ba-Wü: Auszüge aus dem 1. Zwischenbericht "Wissenschaftliche Begleitung des Qualitäts- und Kooperationsmodells Rhein-Neckar (Hausarztmodell)" der Prognos AG

Dass Patienten mit dem Hausarztmodell zufrieden sind, ist keine so schlechte Nachricht. Ob allerdings auch die Qualität der medizinischen Versorgung sich verbessert hat, ist eine nach wie vor offene Frage. Möglicherweise gibt es auch schon Antworten hierzu. Leider behandeln alle Krankenkassen die Evaluationsberichte zu ihren Modellvorhaben als geheime Verschlussakte und lassen Ärzte und Patienten gleichermaßen im Dunklen stehen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Gerd Marstedt, 29.3.2007