Home | Patienten | Gesundheitssystem | International | GKV | Prävention | Epidemiologie | Websites | Meilensteine | Impressum

Sitemap erstellen RSS-Feed

RSS-Feed
abonnieren


Weitere Artikel aus der Rubrik
GKV
Rechtliche Regelungen


EU-GH und Dextro Energy: Auch wenn positive Wirkungen nachgewiesen sind, kann gesundheitsbezogene Werbung unzulässig sein (20.3.16)
Die Bedeutung der Rechtsprechung für (Gesundheits)-Gesetze am Beispiel von Obamacare (26.6.15)
Zügigkeit des Verwaltungsverfahrens von Krankenkassen als Patientenrecht - aber manchmal nur mit Hilfe eines Gerichts (26.5.15)
Wie "fest" ist ein Festbetrag und wo liegen die Grenzen des Service-Outsourcens gesetzlicher Krankenkassen und Rentenversicherer? (20.9.14)
Senkung der Lohnnebenkosten alternativlos im öffentlichen Interesse? Wie das BVerfG einem Arbeitgebermythos auf den Leim geht! (30.7.14)
Kann Gutes zu viel sein aber ist das sprichwörtliche "gesunde Mittelmaß" wirklich gesund!? (19.5.14)
"Schluss mit der Schlapphutmentalität" (Ärztezeitg.) des Gemeinsamen Bundesausschusses und mehr Professionalität - fordert OVG NRW (21.3.14)
Polypharmazie bei Allgemeinärzten: Ein Drittel der Arzneimittel hatte keinen Nutzen - CDU/CSU/SPD-Kompromiss: Kasse statt Klasse!! (25.11.13)
Aktuelle Chronologien der gesetzlichen Neuregelungen für Kranken- und Pflegeversicherung 1998-2013 (31.10.13)
Bundessozialgericht: Warum darf der G-BA nicht einfach die Mindestmengen für die Geburt und Behandlung von Frühgeborenen erhöhen?! (12.10.13)
Wo Gesundheit suggeriert wird, muss welche drin sein: Werbung für "bekömmlichen" Wein endgültig auch in Deutschland unzulässig (16.2.13)
Wie der Streit zweier Arzneimittelhersteller die Werbung für Arzneimittel zukünftig verlässlicher machen könnte - oder auch nicht! (8.2.13)
GKV-Mitglieder müssen nicht lückenlos Leistungsrecht kennen und Kassen haften für "Versicherungsvertretertricks" ihrer Mitarbeiter (13.1.13)
Was wäre, wenn kommunale Krankenhäuser Weihnachtsmärkte wären? Schluss mit ihrer Privatisierung!? (30.9.12)
"Wo Gesundheit drauf steht, muss auch nachweisbar Gesundheit drin sein" - Wie ein Gericht "Gesundheits"wirtschaft beim Wort nimmt (13.2.12)
Welche Rolle spielen Recht und Evidenz im Gesundheitswesen der USA? Mehr als man denkt! (5.7.11)
Wirtschaftlichkeitsgebot einer gesetzlichen Krankenkasse muss gegen ihre Pflicht zur "humanen Krankenbehandlung" abgewogen werden! (27.2.11)
Fachgesellschaft der Gesundheitsökonomen pfeift auf wissenschaftliche Empirie (13.1.11)
Patientenrecht auf fachgerechte Behandlung à la Bundesgerichtshof: Wundheilbehandlung zwischen Antibiotika und Zitronensaft (1.1.11)
Wie frei dürfen Privatkrankenversicherungen mit ihren Kunden umgehen? Bundesverwaltungsgericht zieht Grenze zugunsten Altkunden (28.6.10)
Müssen Gehörlose auf Kassenkosten Klingeltöne sehen können? Warum eine AOK 5 Jahre durch alle Instanzen prozessiert und verliert! (14.5.10)
Wozu diente die Altersgrenze für Vertrags(zahn)ärzte und warum ist ein EuGH-Urteil zu einem alten SGB V-Paragraphen interessant? (19.1.10)
Was soll sektorenübergreifende externe Qualitätssicherung wie machen? "Sagen Sie es bis zum 25.1.2010!" (8.1.10)
Wettbewerb à la GKV oder wie kritisch darf eine gesetzliche Krankenkasse mit Direktverträgen anderer gesetzlichen Kassen umgehen? (18.12.09)
Bedenkliche Schlagseite gesundheitspolitischer Ziele im Koalitionsvertrag (16.12.09)
Kein Rechtsanspruch auf Widerruf einer ärztlichen Diagnose - OVG: "Alkohol-Missbrauch" ist ein Werturteil (17.11.09)
Hand- oder Elektrobetrieb: Wo endet für eine Krankenkasse die gesetzliche Pflicht, die Selbständigkeit von Behinderten zu fördern? (5.11.09)
Gutachten "zur Überwindung des zweigeteilten Krankenversicherungsmarktes" oder wie zukunftssicher ist die PKV? (7.9.09)
"GKV-Beitragssatz sinkt bald auf 10%" - Mögliche Konsequenzen eines Urteils des Bundessozialgerichts!? (7.5.09)
§ 73 Abs. 8 SGB V: Umfassende Arzneimittel-Informationspflichten von Kassenärztlichen Vereinigungen und GKV gegenüber Ärzten. (27.1.09)
LSG Hessen: Grenzen des Gemeinsamen Bundesausschusses und des Hilfsmittelkatalogs bei Mitteln zum Behinderungsausgleich. (26.8.2008)
Bundesverfassungsgericht: GKV-Kasse muss ausdrücklich und umfassend die gesundheitlichen und sozialen Umstände von Versicherten berücksichtigen. (30.4.2008)
Bundessozialgericht: Nur "medizinisch vertretbar" reicht nicht als Grund für Krankenhausaufenthalt - Kasse muss nicht zahlen! (16.4.2008)
Wasserspender versus Patienteninteressen und Vertrauensverhältnis Arzt-Patient - Sind Werbegeschenke an Ärzte unlauter? (9.2.2008)
Ver- oder gebietet das Wirtschaftlichkeitsgebot in der GKV bestmögliche, qualitätsgesicherte und wirksame Leistungen? (20.11.2007)
Wo hören ärztliche Beratungs- und Aufklärungspflichten auf und fängt die Eigeninitiative des Versicherten an? (16.9.2007)
BGH pocht auf Selbstbestimmungsrecht des Patienten: Umfassende ärztliche Aufklärungspflicht bei Medikamentenwechsel (14.7.2007)
Was nützen Gesetze und Rechte, wenn diejenigen, die sie nötig haben, davon nichts wissen? - Abhilfe ist möglich! (7.6.2007)
Hausarztmodelle der Krankenkassen: Bessere Versorgung zu höheren Kosten oder nur höhere Kosten? (29.3.2007)
Versicherte im Tarif-Dschungel - Gesetzliche Krankenkassen bieten ab April viele Wahlmöglichkeiten an (9.3.2007)
Paragraphen, Eckpunkte, Arbeits- und Referentenentwürfe, Begründungen, Richtlinien, Synopsen und Kodices gefällig? (30.1.2007)
Der Unsinn der Bestrafung von Krebskranken bei Nichtinanspruchnahme von Früherkennungsuntersuchungen (11.12.2006)
Gesundheitsreform: Kritik der Spitzenverbände am Wettbewerbsstärkungsgesetz (12.11.2006)
Nichtversicherte in der GKV - ein wachsendes Problem (25.10.2005)

Seite mit den Texten aller Artikel aufrufen:
Rechtliche Regelungen
 

Andere Rubriken in "GKV"


Gutachten, Systemvergleiche

Beitragssatz, Finanzierung, GKV-PKV

Umfragen, Bevölkerungsmeinungen

Rechtliche Regelungen

Kassenwettbewerb

Versicherteninteressen, Selbstverwaltung, GBA

Solidarprinzip

Risikostrukturausgleich RSA

andere Themen zur GKV



Wozu diente die Altersgrenze für Vertrags(zahn)ärzte und warum ist ein EuGH-Urteil zu einem alten SGB V-Paragraphen interessant?

Artikel 1714 Dass ein Gericht, und dazu noch der Europäische Gerichtshof (EuGH), nicht immer die Frage beantwortet, die ihm von einem "vorlegenden" nationalen Gericht gestellt wird und EU-Richtlinien durchaus auch über nationalen Gesetze und obersten Gerichtsurteilen stehen können, zeigt ein Urteil des EuGH vom 12.1.2010 zum Thema Höchstalter für Vertrags(zahn)ärzte, also Ärzten, die zur Behandlung der 90% gesetzlich Krankenversicherten zugelassen sind.

In der Bundesrepublik Deutschland hat das Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 21. Dezember 1992 (GSG 1993) eine auf Vertragsärzte anzuwendende Höchstaltersgrenze eingeführt, die seit dem 14. November 2003 in § 95 Abs. 7 Satz 3 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs zu finden war. Der § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V sah vor, dass ab 1. Januar 1999 die Zulassung zur Ausübung der Tätigkeit eines Vertragsarztes mit Ablauf des Kalendervierteljahrs endet, in dem der Vertragsarzt das 68. Lebensjahr vollendet. Dies war gesetzlich geregelt auch auf Vertragszahnärzte anzuwenden.
Wichtig: Im SGB V wurde diese Vorschrift für die Zeit nach dem 30. September 2008 abgeschafft, d.h. die "Zulassung endet mit dem Tod, mit dem Wirksamwerden eines Verzichts oder mit dem Wegzug des Berechtigten aus dem Bezirk seines Kassenarztsitzes" (§ 95 Absatz 7 Satz 1 SGB V in der gültigen Fassung).

Für den deutschen Gesetzgeber und das Bundesverfassungsgericht waren für die alte Regelung sowohl der Schutz des Patienten vor den gesundheitlichen Risiken einer altersbedingten eingeschränkten Leistungsfähigkeit von Ärzten als auch das Berufseintrittsinteresse des Ärztenachwuchses maßgeblich.

So hatte der Gesetzgeber zur Begründung der entsprechenden Regelung im SGB V vermerkt: "Die Entwicklung der Vertragsarztzahl stellt eine wesentliche Ursache für überhöhte Ausgabenzuwächse in der gesetzlichen Krankenversicherung dar. Angesichts einer ständig steigenden Zahl von Vertragsärzten besteht die Notwendigkeit, die Anzahl der Vertragsärzte zu begrenzen. Die Überversorgung kann nicht nur durch Zulassungsbeschränkungen und damit zu Lasten der jungen Ärztegeneration eingedämmt werden. Hierzu ist auch die Einführung einer obligatorischen Altersgrenze für Vertragsärzte erforderlich."

Das Bundesverfassungsgericht hatte in einem Urteil vom 7. August 2007 die Altersgrenze durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung vor den Gefährdungen durch ältere, nicht mehr voll leistungsfähigen Vertragszahnärzte zu schützen. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei - so die Zusammenfassung im EuGH-Urteil - an einer 1998 entwickelten Auffassung festgehalten und entschieden, der Gesetzgeber sei angesichts des ihm eingeräumten Gestaltungsspielraums nicht verpflichtet, eine individuelle Prüfung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit jedes Vertragsarztes, der das 68. Lebensjahr vollendet habe, vorzusehen. Er habe vielmehr auf der Grundlage von Erfahrungswerten eine generalisierende Regelung erlassen dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hat es auch als unerheblich angesehen, dass der Gesundheitsschutz der Versicherten nicht in der Gesetzesbegründung erwähnt werde, und habe daran erinnert, dass es bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung alle Gesichtspunkte berücksichtige und durch diese Begründung nicht eingeschränkt sei.

Gegen diese Bestimmung des deutschen Sozialrechts und das Rechtsverständnis des Bundesverfassungsgerichts hatte sich eine Zahnärztin vor dem Sozialgericht gewehrt und auf der individuellen Prüfung ihrer Leistungsfähigkeit mit dem Ziel bestanden, auch künftig Kassenpatienten behandeln zu dürfen. Sie begründete dies u.a. mit der EU-Richtlinie 2000/78/EG, die eine Diskriminierung aus Altersgründen verbietet.

Das Sozialgericht wollte oder konnte dies nicht selber abschließend beurteilen und legte den Fall zur Entscheidung dem Europäischen Gerichtshof vor. Seine Kernfrage lautete: "Kann die gesetzliche Regelung einer Höchstaltersgrenze für die Zulassung zur Berufsausübung (hier: für die Tätigkeit als Vertragszahnärztin) im Sinne des Art. 6 der eine objektive und angemessene Maßnahme zum Schutz eines legitimen Zieles (hier: der Gesundheit der gesetzlich krankenversicherten Patienten) und ein zur Erreichung dieses Zieles angemessenes und erforderliches Mittel sein1, wenn sie ausschließlich aus einer auf "allgemeine Lebenserfahrung" gestützten Annahme eines ab einem bestimmten Lebensalter eintretenden generellen Leistungsabfalls hergeleitet wird, ohne dass dabei dem individuellen Leistungsvermögen des konkret Betroffenen in irgendeiner Weise Rechnung getragen werden kann?"

Der EuGH verkündete nun ein klares Urteil und nutzte die Gelegenheit, um einige auch für die Zukunft interessanten Rechtsvorstellungen zu äußern:
• Es hielt die Klage und sein Urteil trotz der bereits genannten geänderten rechtlichen Lage für zulässig und hat sich dabei, wie gleich klar wird, etwas gedacht.
• Generell berührt ein Höchstalter "die Bedingungen für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie sowie die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen im Sinne ihres Art. 3 Abs. 1 Buchst. c."
• Nach den Antidiskriminierungs- und Gleichbehandlungsbestimmungen der EU liegt "eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Abs. 1 vor, wenn eine Person … eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person, die sich in einer vergleichbaren Situation befindet". Dies bedeutet für deutsche Vertragsärzte nach Ansicht des EuGH, dass die "Anwendung einer Bestimmung wie § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V … dazu (führt), dass Personen, hier Vertragszahnärzte, deshalb eine weniger günstige Behandlung erfahren als andere Personen, die den gleichen Beruf ausüben, weil sie älter sind als 68 Jahre. Mit einer solchen Bestimmung wird eine Ungleichbehandlung wegen des Alters im Sinne der Richtlinie eingeführt." Gemeint ist hier die Möglichkeit, dass auch Ärzte, die älter als 68 Jahre sind, Patienten privat behandeln dürfen.
• Ausdrücklich erinnert der EuGH zunächst daran, "dass … die Mitgliedstaaten die Zuständigkeit für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit und insbesondere für den Erlass von Vorschriften zur Organisation und Erbringung von Dienstleistungen im Gesundheitswesen und der medizinischen Versorgung behalten. Bei der Ausübung dieser Zuständigkeit haben die Mitgliedstaaten zwar das Gemeinschaftsrecht zu wahren, doch ist bei der Prüfung, ob das genannte Gebot beachtet worden ist, zu berücksichtigen, dass der Mitgliedstaat bestimmen kann, auf welchem Niveau er den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten will und wie dieses Niveau erreicht werden kann. Da sich dieses Niveau von einem Mitgliedstaat zum anderen unterscheiden kann, ist den Mitgliedstaaten ein Wertungsspielraum zuzuerkennen."

Trotzdem nimmt der EuGH dann aber die ausführlich dargelegte lückenhafte und inkonsistente Begründung des Höchstalters für Ärzte durch den deutschen Gesetzgeber zum Anlass, dieses als unvereinbar mit den EU-Bestimmungen abzulehnen:

• Er legt Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie so aus, "dass er einer nationalen Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, mit der für die Ausübung des Berufs des Vertragszahnarztes eine Höchstaltersgrenze, im vorliegenden Fall 68 Jahre, festgelegt wird, entgegensteht, wenn diese Maßnahme nur das Ziel hat, die Gesundheit der Patienten vor dem Nachlassen der Leistungsfähigkeit von Vertragszahnärzten, die dieses Alter überschritten haben, zu schützen, da diese Altersgrenze nicht für Zahnärzte außerhalb des Vertragszahnarztsystems gilt".
• Der Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie ist dahingehend "auszulegen …, dass er einer solchen Maßnahme nicht entgegensteht, wenn diese die Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen innerhalb der Berufsgruppe der Vertragszahnärzte zum Ziel hat und wenn sie unter Berücksichtigung der Situation auf dem betreffenden Arbeitsmarkt zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich ist."
Welche Ziele mit der konkreten alten Regelung des Höchstalters verfolgt würden und ob daher der klagenden Zahnärztin Recht gegeben werden müsse oder nicht, sei aber "Sache des vorlegenden Gerichts". Dieses müsse feststellen," welches Ziel mit der Maßnahme zur Festlegung dieser Altersgrenze verfolgt wird, indem es den Grund für ihre Aufrechterhaltung ermittelt."

Angesichts der seit 2008 gestrichenen Höchstalterbestimmung könnte man zum Schluss kommen, sich eigentlich gar nicht praktisch mit dem Urteil befassen zu müssen und sich wichtigeren Dingen zuwenden zu können. Dies könnte vorschnell sein, weil das Urteil und seine Begründung Aussagen enthalten, die aus gesundheitspolitischer wie -wissenschaftlicher Sicht nachdenklich stimmen und künftig praktisch werden könnten: Es geht sowohl um die im Urteil des EuGH explizit nachrangige Relevanz ("nur (!) das Ziel hat, die Gesundheit der Patienten … zu schützen") der Patientengesundheit und die Bereitschaft des Gerichts unklare, ambivalente und unvollständige nationale Bestimmungen zu nutzen, um sich sehr konkret in Bedingungen nationaler Gesundheits- und Sozialsysteme einzumischen.
Wenn man beispielsweise sieht, wie sich immer mehr gesetzliche Krankenkassen wie Wirtschaftsunternehmen verhalten oder sich bei der Diskussion der Höhe ihrer Vorstandsgehälter unverblümt mit DAX- und damit Aktienunternehmen mit ihren auf dem freien Markt zu erwirtschaftenden Umsätzen vergleichen (so gerade die neue Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK, Birgit Fischer) darf sich niemand wundern, wenn die EU-Wettbewerbskommissare das ernst nehmen und nationale Schutzzäune wie der der gesetzlichen Krankenkassen als "Körperschaft öffentlichen Rechts" demnächst auch für mit der europäischen Unternehmensordnung unvereinbar erklärt werden.
Vor dieser Tendenz des selbstverschuldeten Verlusts traditioneller Profile und Stärken der GKV im europäischen Kontext hat der Regensburger Sozialrechtler Kingreen bereits vor Jahren gewarnt.
Bleibt zum Schluss noch die Frage, warum die alte Höchstalterregelung abgeschafft wurde, sofern der deutsche Gesetzgeber das Schutzinteresse der Patienten selber ernst nimmt? Der Hinweis der Bundesregierungsvertreter, man habe da "etwas überprüfen wollen", wirkt so lange unglaubwürdig wie es keine veröffentlichte Analyse der Behandlungsergebnisse jüngerer und älterer Ärzte unter kontrollierten Bedingungen gibt. Vielleicht ging es aber auch - so auch Andeutungen des EuGH - durchweg nur um wirtschaftliche Interessen der Ärzte oder der GKV und nicht wirklich um die Gesundheit von Patienten!?

Das "Urteil der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs vom 12. Januar 2010 "Richtlinie 2000/78/EG - Art. 2 Abs. 5 und Art. 6 Abs. 1 - Verbot der Diskriminierung wegen des Alters - Nationale Bestimmung, die das Höchstalter für die Ausübung des Berufs eines Vertragszahnarztes auf 68 Jahre festlegt - Verfolgtes Ziel - Begriff 'für den Gesundheitsschutz erforderliche Maßnahme' - Kohärenz - Geeignetheit und Angemessenheit der Maßnahme" ist komplett im Internet zugänglich und selbst für Nichtjuristen über weite Strecken hinweg spannend zu lesen.

Bernard Braun, 19.1.10