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LSG Hessen: Grenzen des Gemeinsamen Bundesausschusses und des Hilfsmittelkatalogs bei Mitteln zum Behinderungsausgleich.

Artikel 1328 Wer sich gerade gemerkt hat, dass seit dem 1. Januar 2004 der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die zentrale Institution im deutschen GKV-Gesundheitswesen ist, die evidenzbasiert und nutzenorientiert über die Art der als Kassenleistungen erhältlichen medizinischen und nichtmedizinischen Leistungen im Krankheitsfall bestimmt, hat die Rechnung in mancherlei Hinsicht ohne die Rechtsprechung deutscher Gerichte gemacht.

Diese haben nämlich durchaus Möglichkeiten durch Entscheidung von einzelnen Streitfällen in bestimmte Bereiche der Leistungsgestaltung gestaltend einzugreifen und die Zuständigkeit und Reichweite von Entscheidungen des G-BA oder der Krankenkassen einzuschränken - und nutzen diese auch.

Zuletzt machte dies das Hessische Landessozialgericht (LSG) in einem ihm vorgelegten strittigen Verfahren um die Übernahme eines Hilfsmittels für ein behindertes Kind.

Die 1995 geborene Klägerin aus dem Landkreis Offenbach leidet aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung an einer so genannten infantilen Cerebralparese. Die Zusammenarbeit verschiedener Muskel sowie deren Kontrolle und Steuerung sind gestört. Ein selbstständiges Gehen ist ihr aufgrund der spastischen Lähmung nicht möglich. Um Stehversuche und erste Schritte zu ermöglichen, wurden der heute 12-Jährigen zur Stabilisierung des Beckens und der Beine dynamische GPS-Soft-Orthesen verordnet. Diese Orthesen liegen wie eine zweite Haut dem jeweiligen Körperteil an. Durch den Druck des elastischen Materials auf die Rezeptoren soll die Körperwahrnehmung verbessert werden. Die Krankenkasse bezweifelt jedoch die therapeutische Wirksamkeit. Sie lehnte die Übernahme der Kosten in Höhe von knapp 1.100 € ab und bot feste Orthesen aus Carbonfasermaterial an. Sie machte dabei u.a. geltend, dass die elastischen Orthresen nicht im Hilfsmittelverzeichnis für die GKV stünden und außerdem die Wirksamkeit dieses Hilfsmittels nicht nachgewiesen und vom G-BA akzeptiert worden wäre.

Die Richter beider Instanzen gaben hingegen nach Einholung von Sachverständigengutachten der Klägerin Recht. Die Soft-Orthesen leisteten die notwendige Unterstützung der nur eingeschränkt funktionstüchtigen Körperteile. Im Vergleich zu starren Orthesen ließen die dynamischen Soft-Orthesen mehr Bewegungsfreiheit zu und seien leichter anzuziehen.
Schließlich müsse ein über den bloßen Ausgleich der Behinderung hinaus gehender therapeutischer Nutzen nicht nachgewiesen werden. Klinische Prüfungen seien daher nicht erforderlich. Ärztliches Erfahrungswissen reiche vielmehr aus. Unbeachtlich sei auch, dass die Soft-Orthesen nicht im Hilfsmittelverzeichnis stehen, da dieses Verzeichnis für die Gerichte nur eine unverbindliche Auslegungshilfe darstelle.

Die hierzu wesentliche Argumentation des Landessozialgerichts lautet so: "Wie das Sozialgericht in seinem Urteil zutreffend festgestellt hat, ist für Hilfsmittel, die einen Behinderungsausgleich i.S.d. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V bewirken sollen und keine Hilfsmittel zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken darstellen, nicht erforderlich, dass die Zweckmäßigkeit, sofern es sich nicht um ein herkömmliches Hilfsmittel handelt, nach den Maßstäben des § 135 SGB V festgestellt wird. Soweit § 139 Abs. 2 SGB V für die Aufnahme von Hilfsmitteln in das Hilfsmittelverzeichnis den Nachweis eines therapeutischen Nutzens verlangt, bedeutet dies nicht, dass für Hilfsmittel jeglicher Art auch die Ergebnisse klinischer Prüfungen vorgelegt werden müssen. Bei Hilfsmitteln zum bloßen Behinderungsausgleich ist der Nachweis eines therapeutischen Nutzens, der über die Funktionstauglichkeit zum Ausgleich der Behinderung hinausgeht, schon von der Zielrichtung des Hilfsmittels nicht geboten und in der Regel auch nicht möglich. Auch nach dem Medizinproduktegesetz (MPG) sind klinische Prüfungen zum Nachweis der vom Hersteller vorgegebenen Leistungen, der Sicherheit und der Unbedenklichkeit nur vorgeschrieben, sofern es sich um implantierbare Medizinprodukte oder um solche der Klasse III handelt (vgl. §§ 19 ff. MPG). Deshalb ist es zulässig, sich zum Nachweis der Vorzüge eines derartigen Hilfsmittels auf Gutachter, die ärztliches Erfahrungswissen und die von ihnen ausgewertete Fachliteratur zu stützen, während es weitergehender klinischer Prüfungen nicht bedarf (Bundessozialgericht, Urteil vom 16. September 2004, B 3 KR 20/04 R, C-Leg). Die Produktsicherheit und Zweckmäßigkeit eines Hilfsmittels wird durch eine Kennzeichnung nach dem Medizinproduktegesetz gewährleistet, die hier in Form einer Konformitätserklärung nach dem Medizinproduktegesetz für Sonderanfertigungen vorliegt."

Zum Argument, es läge zu diesem Hilfsmittel keine Prüfung und Zulassung durch den G-BA vor, stellt das LSG Hessen fest: "Diese Ausführungen stellen … klar, dass derartige Anforderungen nicht gelten, wenn es - wie hier - um ein Hilfsmittel zum bloßen Behinderungsausgleich geht."

Ausdrücklich wies das Gericht auch darauf hin, dass die Bedarfsorientierung in der GKV bedeute, auch spezielle, in diesem Fall altersgruppenspezifische Bedarfe zu beachten und zu befriedigen: "Bei Erwachsenen muss im Bereich der Mobilität die Hilfsmittelversorgung nur gewährleisten, dass der erwachsene Versicherte sich in der eigenen Wohnung bewegen und die Wohnung verlassen kann, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (Bundessozialgericht, Urteil vom 11. Januar 2006 - B 3 KR 44/05 B). Für Kinder und Heranwachsende gilt ein großzügigerer Maßstab: Für sie kommt es darauf an, durch die Hilfsmittelversorgung sich einen gewissen körperlichen Freiraum gefahrlos zu erschließen (Bundessozialgericht, Urteil vom 10. November 2005, B 3 KR 31/04 R)."

Gegen das Urteil wurde keine Revision zugelassen, d.h. es ist rechtskräftig.

Das am 19. Juni 2008 verkündete, 21 Seiten umfassende Urteil (AZ: L 8 KR 69/07) des Hessischen Landessozialgerichts ist kostenfrei im Internet erhältlich.

Bernard Braun, 26.8.2008