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BGH pocht auf Selbstbestimmungsrecht des Patienten: Umfassende ärztliche Aufklärungspflicht bei Medikamentenwechsel

Artikel 0802 Auch wenn das in der Flut von Gesundheitsreformgesetzen, Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses und den diese umsetzenden Rechtverordnungen etc. und im täglichen Behandlungsgeschehen untergehen mag: Auch die Rechtsprechung beeinflusst in etwas weniger spektakulärer aber manchmal wirksamerer Art und Weise die Bedingungen des gesundheitlichen Versorgung bis in das Arzt-Patientenverhältnis hinein.

Dieses Verhältnis ist jetzt durch ein höchstinstanzliches Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 17. April 2007 (Urteil des BGH vom 17.04.2007 - VI ZR 108/06) (im Volltext von 14 Seiten unter Nutzung des Aktenzeichens über die Website des BGH - Entscheidungen - kostenlos erhältlich) zur Arzthaftung für unerwünschte Arzneimittelwirkungen bei Mittelwechsel im Sinne der Patienten gestärkt worden. Letzteres erfolgt vor allem dadurch, dass das Gericht eindeutig und unmissverständlich eine umfassende Aufklärungspflicht des Arztes festlegt, ohne deren Erfüllung der Arzt entweder kein neues Arzneimittel verordnen darf oder im Falle unerwünschter Wirkungen voll haftbar ist.

Diese Position ist in vier Feststellungen, darunter den beiden Leitsätzen des Urteils, ausformuliert:

• "a) Der Arzt hat den Patienten vor dem ersten Einsatz eines Medikaments, dessen Wirksamkeit in der konkreten Behandlungssituation zunächst erprobt werden soll, über dessen Risiken vollständig aufzuklären, damit der Patient entscheiden kann, ob er in die Erprobung überhaupt einwilligen oder ob er wegen der möglichen Ne-benwirkungen darauf verzichten will.
• b) Kann ein Patient zu der Frage, ob er bei zutreffender ärztlicher Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, nicht persönlich angehört werden (hier: wegen schwerer Hirnschäden), so hat das Gericht aufgrund einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls festzustellen, ob der Patient aus nachvoll-ziehbaren Gründen in einen ernsthaften Entscheidungskonflikt geraten sein könnte."
• "Der Arzt, der Medikamente, die sich als für die Behandlung der Beschwerden des Patienten ungeeignet erwiesen haben, durch ein anderes Medikament ersetzt, dessen Verabreichung für den Patienten mit dem Risiko erheblicher Nebenwirkungen verbunden ist, hat den Patienten zur Sicherung seines Selbstbestimmungsrechts über den beabsichtigten Einsatz des neuen Medikaments und dessen Risiken aufzuklären (sogenannte Eingriffs- oder Risikoaufklärung). Tut er dies nicht, ist die Behandlung rechtswidrig, auch wenn der Einsatz des Medikaments an sich sachgerecht war."
• Einen eindeutigen Riegel schiebt der BGH auch einer Art wohlgemeintem aber stillschweigenden Experiment vor: "Nicht zu billigen ist auch die Ansicht des Berufungsgerichts (einem Oberlandesgericht), der Einsatz eines neuen Medikaments sei ohne Einwilligung des Patienten vorübergehend zulässig, wenn zunächst ermittelt werden solle, ob das Medikament überhaupt anschlage und sich dessen Risiken in der Erprobungsphase der Medikation noch nicht auswirkten."

Diesen Urteilssätzen liegt der konkrete Fall einer Patientin zugrunde, der Ärzte einer Universitätsklinik zur Behandlung einer Herzstörung ein neues Medikament verabreichten während dessen Einnahme die Patientin eine Woche später einen Kreislaufstillstand mit zurückbleibenden Dauerschäden erlitt. Die Patientin sah ihren Zustand als Folge von Aufklärungs- und Behandlungsfehlern und klagte auf Schmerzensgeld und Schadenersatz. Das zuständige Landgericht und das Oberlandesgericht (OLG) als Berufungsgericht hatten die Klage abgewiesen. Mit den o.g. Argumenten folgt der BGH nicht der Argumentation der beiden niedrigeren Instanzen. Es verweist den konkreten Fall zurück zu einer neuen konkreten Verhandlung an das OLG.

Eine kommentierende juristische Darstellung des Urteils durch den Hamburger Rechtsanwalt Hohmann auf der Website des Fachdienstes "medizinrecht.de" weist noch auf eine sehr weitreichende potenzielle Kollision dieses BGH-Verständnisses von der ärztlichen Aufklärungspflicht mit einigen vom "Wettbewerbsstärkungsgesetz (WSG)" eröffneten ärztlichen Handlungsmöglichkeiten hin:
"Fraglich ist auch, ob unter dieser Rechtssprechung die vom ...WSG ...erhofften Einsparpotentiale durch umfangreiche Rabattverträge ab dem Jahr 2008 noch realisiert werden können. Nach Meldung der Ärzte-Zeitung vom 27.06.2007 erlauben Ärzte zunehmend die Substitution durch den Apotheker. 78% der Niedergelassenen schlossen eine Substitution nach Analyse des Marktforschungsinstituts IMS Health nicht aus, also 14% mehr als im Jahr 2005. Tritt ein Arzt den zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und Herstellern vereinbarten Rabattverträgen bei, so können die rabattierten Arzneimittel dann zum Einsatz gelangen, wenn der Arzt per Rezept aut-idem ("oder das Gleiche") zulässt, die Auswahl der Präparate erfolgt dann durch den Apotheker. Zum Zeitpunkt der Verordnung weiß der Arzt also nicht, welches Präparat der Apotheker herausgibt. Im Prinzip können Wechsel unter Generika folgenreich sein....Sobald nach ärztlichem Wissen bei der Umstellung von Arzneimitteln unerwünschte Arzneiwirkungen auftauchen könnten, haftet der Arzt somit auch für die richtige Auswahl durch den Apotheker. Ist die Auswahl durch den Apotheker nicht beherrschbar und steht ein Therapie- und damit auch ein haftungsrelevantes Risiko im Raum, ist aufgrund der Rechtssprechung aut-idem auszuschließen. Ersparnisse durch Rabattverträge können bei diesen Fällen nicht realisiert werden."

Wenn nicht auch noch der Apotheker eine vergleichbare Aufklärungspflicht dekretiert bekommt und damit eine nicht sinnvoll erscheinende Art Verdoppelung der aufklärungspflichtigen und haftenden Akteure entsteht, muss diese WSG-Regelung und ihre -Praxis auf den Prüfstand des Selbstbestimmungsrechts der Patienten, auch bei nur möglichem Arzneimittelwechsel.

Bernard Braun, 14.7.2007